Das lange Lied eines Lebens
behandelt«, gestattete die Missus, dass ihre Augen sich ungläubig weiteten.
Sie fragte: »Sind Sie sich da sicher, Mr Goodwin?«
Seine Antwort: »Das weiß ich so sicher wie nur irgendetwas, Madam«, brachte sie dazu, sich wieder zu entspannen und die
Locke zu ordnen, die ihr trotz der Verwendung einer Haarnadel immer wieder in die Stirn fiel. »Aus diesem Grund bin ich nach Jamaika gekommen. Natürlich war es der Wunsch meines Vaters. Mein Vater war aufrichtig davon überzeugt, dass die Sklaverei ein Gräuel ist. ›Bring den Negern Freundlichkeit, Robert‹, hat er mir gesagt. ›Zeige ihnen Mitgefühl. Gelobe bei allem, was dir hoch und heilig ist, dass du dich niemals zufriedengeben wirst, ehe nicht der Neger als Mensch in der Gemeinschaft der Menschen steht.‹«
»Wirklich?«, entfuhr es unserer Missus, aber sie hob die Finger an die Lippen, um die böse Bemerkung zu unterdrücken.
»England«, fuhr er fort, »unser großes, edles, christliches Land, muss von dem scheußlichen Makel gereinigt werden, den die Sklaverei hinterlassen hat, meinen Sie nicht auch, Mrs Mortimer?«
Und sie aus vollem Herzen: »O ja, Mr Goodwin.«
»Ach, wie froh mich das stimmt, Madam«, fuhr der Aufseher fort. »Wenn nur alle Pflanzer auf dieser Insel so empfänden wie Sie. Der Anwalt auf Unity, meiner ersten Arbeitsstelle, hat mir einfach ins Gesicht gelacht. Und Mrs Pemberton auf Somerset Pen, obwohl eine gute Christin, konnte Arbeit einfach nicht mit Freundlichkeit in Einklang bringen. Beide waren nicht gewillt, die schlichte Botschaft meines Vaters anzuhören.«
»Ich schon«, sagte die Missus ruhig und gesetzt. Das einfache Kompliment, das der neue Aufseher ihr gemacht hatte – nach so kurzer Bekanntschaft hatte er bereits erkannt, dass sie in der Tat mitfühlender war als Mrs Pemberton und vernünftiger als dieser Dummkopf auf Unity –, schmeichelte Caroline Mortimer ebenso wie die leichte Berührung ihrer Fingerspitzen, mit denen sie sich jetzt über den Hals strich. Und obwohl der Aufseher im Begriff war, mit weiteren Sentenzen seines Papas aufzuwarten, merkte er noch nicht, dass auch unsere Missus zu hohlem Gerede fähig war, wenn sie erst einmal in Fahrt geriet.
»Ich habe diese Plantage«, fuhr sie fort und blickte ihm dabei ernst ins Gesicht, »von meinem lieben verstorbenen Bruder geerbt. Und wenngleich er von einem fürchterlichen, blutrünstigen Neger viehisch und grausam umgebracht worden ist – aber sparen wir uns diese betrübliche Geschichte für einen anderen Tag auf –, so habe ich mich doch, seit ich Herrin auf dieser Plantage bin, stets darum bemüht, freundlich zu sein. In der Vergangenheit ist meine Mission durch das mitunter unbesonnene Verhalten meiner Stellvertreter und Aufseher vereitelt worden. Ich hoffe, dass die Verbesserungen, die wir beide anstreben, nun da Sie bei uns sind, Mr Goodwin, bald Wirklichkeit werden.« Dann lächelte sie ihn breit an.
Als Robert Goodwin sich an jenem Tag von der Missus verabschiedete, verbeugte er sich tief und mit eleganter Anmut. Und sie folgte ihm hinaus auf die Veranda und winkte dem Davonreitenden nach, als sei er ein geschätzter Gast und nicht ihr Angestellter.
Dann, als er außer Sichtweite war, ergriff die Missus plötzlich Julys Arm. Mit einem verspielten Kichern, so als wäre July eine gute Freundin, der sie unbedingt ein Geheimnis anvertrauen müsse, beugte sie sich zu ihr und sagte: »Ach, hat er nicht die blauesten Augen der Welt, Marguerite?«
Nicht alle Neger waren anwesend, um die Ansprache Robert Goodwins zu hören, der im Hof der Mühle auf einem leeren Fass stand.Viele lagen noch im Bett, ihre Köpfe schmerzten zu sehr, um einem Bakkra zuzuhören. Einige waren schon zu frei, um noch Befehlen zu folgen, während andere, die schon vor einiger Zeit ihre Habseligkeiten gepackt hatten, im Schutz der Nacht aus dem Negerdorf geflohen waren. Aber es drückten sich doch fast hundert Neger vor ihm herum – fächelten sich mit Bananenblättern zu, aßen Yams, riefen ihre Kinder zu sich, verscheuchten einen Hund, kratzten sich am Kopf, stocherten
in den Zähnen, gähnten, schwatzten über den Anblick seiner braunen Lederstiefel.
Sie waren gekommen, um den neuen Aufseher in Augenschein zu nehmen, der auf seinem großen, großen Pferd von Somerset Pen herbeigeritten war und den Kopf voll großer, großer Ideen hatte. Da war Peggy Jump, sie war direkt vom Fluss heraufgelaufen und balancierte noch den Weidenkorb mit triefend nasser Wäsche auf dem
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