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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Haus und frag ihn, ob er heute Abend mit mir speisen möchte. Im Pferch ist eine Färse geschlachtet worden, und Molly hat Rindfleisch, das aufgegessen werden muss. Ich weiß, Rindfleisch wird er mögen.«
    Caroline Mortimer hatte solches Interesse an ihrer Plantage gefunden, dass sie ihr Ruhebett fast ganz vernachlässigte – allmählich konnte die Rosshaarfüllung wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen. Inzwischen nämlich brachte die Missus ihre Tage damit zu, dass sie auf der Veranda stand und angestrengt über die Felder spähte, dass sie aus dem Fenster schaute oder im Wohnzimmer auf und ab lief, um einen Grund dafür zu finden, weshalb July – »Auf der Stelle, Marguerite, auf der Stelle!« – Robert Goodwin eine Nachricht überbringen musste. »Vielleicht sollte ich mich danach erkundigen, ob in Mr Goodwins Haus alles nach seinem Geschmack ist? Ja, sag ihm, er soll mich besuchen…« »Ich muss über den neuen Buchhalter Bescheid wissen, den der Aufseher eingestellt hat. Sag ihm, auf dem Weg zu den Feldern soll er zu mir herüberreiten…« »Ich wäre ja eine schöne Herrin, wenn ich nicht darauf bestehen würde, dass mein Aufseher vorbeikommt und mir mitteilt, wie viele Fässer heute zum Hafen gebracht werden…« »Byron sagt, dass die Schweine der Neger wieder auf die Felder gerannt sind. Lauf und sag Mr Goodwin, er soll mir Bericht erstatten über die Verluste bei den Feldfrüchten …« Und so weiter und so fort.
    July kannte jeden Stein, jeden Strauch, jedes Loch und jede Biegung des gewundenen Pfades, der zur Behausung des Aufsehers führte. Bei trockenem Wetter waren es achthundert Schritte von dem ausladenden Tamarindenbaum am Herrenhaus bis zu dem Süßorangenbaum, der die hölzernen Stufen beschattete, die zu seiner Tür führten.Wenn sie den Weg jedoch bei Sturm gehen musste – wenn der Wind so heftig blies, dass sie sich an einem Baumstamm klammern oder Schutz hinter einem Felsen suchen musste, damit sie nicht bis nach England geweht wurde; wenn sie durch den schmutzigen Schlamm
rutschte und glitschte, dann durch das Regenwasser watete, das vom Hügel herabrauschte und ihr um die Knie gurgelte wie die Fluten eines anschwellenden Flusses –, dann konnte July ihre Schritte nicht mehr zählen.
    July blickte von ihrer Missus zum Fenster, wo die Regenflut wie ein Musselinvorhang die Aussicht verdeckte. »Kann zum Aufseher gehen, wenn’s aufhört zu regnen«, sagte July.
    Aber ihre Missus entgegnete: »Ach, das bisschen Regen, nun geh schon.«
    Frei. Ha! Welche Veränderungen hatte die Freiheit ihr gebracht, die sie hätte nutzen können?
    Als July an diesem Tag vor Robert Goodwins Haus ankam, war sie so durchweicht wie ein Haufen verfaulter Zuckerrohrabfälle. Ihre weiße Baumwollbluse, die mit der Spitzenverzierung am Ausschnitt, klebte ihr auf der Haut. Als sie die Stufen hinaufstieg, musste sie ihren blauen Rock auswringen, denn der vom Regenwasser schwere Stoff behinderte ihre Schritte. Und selbst als sie schon unter dem Dachgesims stand, liefen ihr von ihrem roten Kopftuch solche Wasserströme übers Gesicht, als sei eine schlaue Wolke ihr ins Haus gefolgt, um sich drinnen weiter abregnen zu können.
    Als July das Wohnzimmer im Quartier des Aufsehers betrat, erwartete sie ein wahres Getümmel. Robert Goodwins aufgeknöpftes Hemd hing ihm aus der Hose, und er wippte leicht auf den Zehenspitzen. Dabei wedelte er zuerst mit den Armen, dann deutete er hierhin, deutete dahin, bevor er in die Hände klatschte. Vier Negerjungen rutschten auf den Knien durchs Zimmer. In ihrem Bemühen, den verworrenen Anweisungen des Aufsehers zu folgen, machten sie sich in den Ecken zu schaffen, untersuchten das untere Ende der Wandtäfelung, stürzten sich auf Ritzen in den Dielenbrettern, stießen Stühle um, hasteten unter den Tisch und bewegten sich ganz allgemein von einer Seite des Zimmer zur anderen, während der Aufseher
ihnen zubrüllte: »Seht, seht, da drüben. Da in der Ecke waren welche! Hier ist eine, hier ist eine, Elias! Horatio, schau her, Junge!«
    Bis dahin war der Aufseher nie zu Hause gewesen, wenn July ihn aufsuchen musste – gewöhnlich überbrachte sie dem Hausburschen Elias die Botschaften ihrer Missus. Und jedes Mal musste sie die Botschaften mehrfach wiederholen, denn wenn sie mit ihm redete, starrte der ungezogene Junge immer nur hingerissen auf die Rundungen ihrer Brüste. Bei anderen Gelegenheiten, wenn selbst der Hausbursche nicht aufzutreiben war, musste sie bei Robert

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