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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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und Rum stinkenden Atem in die Luft. Und er gab July keinen festen Klaps auf den Hintern, ahmte nicht die Bewegungen beim Geschlechtsverkehr nach und brüllte nicht: »Sag deiner Missus, dass heute ihr Glückstag ist.« Nein. Robert Goodwin betrat die Veranda mit in die Höhe gereckten Armen wie ein Prediger bei der Lobpreisung des Allmächtigen.
    »Ein neuer Tag ist gekommen, Mrs Mortimer«, sagte er. Dann erklärte Robert Goodwin voller Begeisterung mit einem breiten glücklichen Lächeln, das seinen Abglanz sogar auf July warf: »Sehet, ein neuer Morgen ist angebrochen. Die Sklaverei, dieses schreckliche Übel, sie ist nicht mehr.«
    Der neue Aufseher war weder ein Rüpel noch ein Säufer; er war ein Gentleman, Sohn eines Geistlichen mit einer Gemeinde in der Nähe von Sheffield. Ein Mann von sechsundzwanzig Jahren mit weichen Händen, mit sauberen Fingernägeln und mit Haaren, dicht und dunkel wie Schlick in einem Fluss. Obwohl
er die Missus nicht überragte, ließ seine aufrechte, gerade Körperhaltung ihn mindestens zwei Fuß größer erscheinen. Und weder ein hässlicher Backenbart noch entsetzlich buschige Augenbrauen verunzierten den rosigen Glanz der Jugend, der noch auf seinen Wangen lag. Robert Goodwin war jemand, dem die Missus in England mit aller Schicklichkeit die Hand hätte schütteln können. Mütterlicherseits wies der Stammbaum seiner Familie sogar einen Baronet auf.
    Nach einer langen und ermüdenden Inspektion der Feldneger auf Amity fasste Robert Goodwin seine Eindrücke der Missus gegenüber so zusammen: »Einen solchen Haufen armer, elender Schwarzer habe ich noch nie gesehen, Mrs Mortimer. Ihre Häuser und Gärten sind verwahrlost – einige völlig verfallen. «
    Dies waren genau die gleichen Worte, die schon der letzte Aufseher gebraucht hatte (kurz bevor er verächtlich schimpfend aus seiner Anstellung bei unserer Missus davongelaufen war), doch bei Robert Goodwins Worten schnappte Caroline Mortimer mit so erstaunter Ungläubigkeit nach Luft, dass jeder gedacht hätte, sie höre den Vorwurf zum ersten Mal. »Oh, was kann man tun?«, rief sie. »Sagen Sie es mir, Mr Goodwin, und es soll auch mein Wunsch sein.«
    Als er fortfuhr: »Als Erstes, Madam, müssen wir uns darum bemühen, ihre höchsten Empfindungen für Sie wiederherzustellen, indem wir ihnen sagen, wie gerecht Sie sie zu behandeln gedenken, nun da sie frei sind«, und als er die Missus informierte: »Demnächst werde ich im Mühlenhof vor allen Negern eine Ansprache halten. Und Sie, Mrs Mortimer, müssen mich zu diesem Auftritt begleiten – wir dürfen sie nicht im geringsten Zweifel darüber lassen, in wessen Namen ich spreche«, wusste er nicht, dass Worte wie diese, mit denen er die gleiche Handlungsweise wie seine Vorgänger forderte, die Missus einst derart beleidigt hatten, dass sie – wenn sie nur rechtzeitig darauf gekommen wäre – den letzten Mann, der sie geäußert hatte, beinahe
zum Teufel gejagt hätte. Obwohl Robert Goodwin klug genug war, aus Furcht davor, dass eine so unverblümte Forderung seiner Dienstherrin Verdruss bereiten könnte, die Stirn zu runzeln, hätte er sich keine Sorgen zu machen brauchen, denn die Missus antwortete ihm mit grenzenlosem Enthusiasmus.
    »Natürlich! Was immer Sie sagen«, pflichtete sie ihm bei. »Aber glauben Sie, dass die Neger uns Beachtung schenken werden, Mr Goodwin?«
    »O ja, Madam«, antwortete er, und als er eine Augenbraue hochzog und sein Stirnrunzeln so statt Besorgnis ernstes Nachdenken ausdrückte, beugte sich die Missus auf ihrem Stuhl vor, um ihm mit tieferem menschlichem Mitgefühl zuhören zu können.
    »Neger sind schlichte, gutmütige Geschöpfe«, fuhr er fort. »Sie brauchen Freundlichkeit – das ist alles. Auf Freundlichkeit werden sie mit Gehorsam reagieren.«
    Sie neigte den Kopf, und ein teilnehmendes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.
    »In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich kaum von Hunden«, sagte er und gab unserer Missus Gelegenheit, ein reizendes Kichern auszustoßen. »Bitte missverstehen Sie mich nicht, Mrs Mortimer.«
    O nein, nein, nein, schüttelte unsere Missus den Kopf.
    »Die Afrikaner sind ein fester Bestandteil der Menschenfamilie. Lebendige Seelen. Kinder Gottes wie Sie und ich.«
    Gewiss, hauchte sie tonlos.
    Erst als er fortfuhr: »Aber in der Tiefe meines Herzens weiß ich, dass sie sich nun, da sie frei sind, nach eigenem Entschluss zu arbeiten, stärker für ihre Herren anstrengen werden, wenn man sie nur mit Sorgfalt

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