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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Versorgungsfelder abzuernten.Alle guten Seelen, die willens sind, für einen gerechten und angemessenen Lohn zu arbeiten – gegen eine geringe Pacht könnt ihr in euren Häusern wohnen bleiben und euer Land bearbeiten, wie ihr es immer getan habt. Den Fleißigen und Gutwilligen unter euch wird es gut gehen. Die Untätigen, Aufrührerischen,Trägen und Ausschweifenden werden weder reich werden noch hier bleiben. Ich hoffe, ihr alle werdet die richtige Wahl treffen: hart zu arbeiten – auf den Zuckerrohrfeldern, in der Fabrik, in den Pferchen oder wo immer eure Vorgesetzten festlegen, dass eure Arbeit benötigt wird –, auf dass die Plantage Amity wachsen und gedeihen möge für eure hochgeschätzte Herrin.«
    Hier hob der Aufseher die Arme zum Himmel und sagte: »Und jetzt müsst ihr euch alle euren Herren dankbar zeigen, dafür, dass sie euch zu freien Menschen gemacht haben. Ihr müsst Gott demütig für den Segen der Freiheit danken. Und ihr müsst der Königin und dem Volk von England und eurer
Herrin beweisen, dass ihr der Freundlichkeit würdig seid, die man euch bewiesen hat.«
    James Richards verschluckte fast seinen letzten Zahn, so lange und heftig sog er daran. Und mit seinen Verwünschungen stand er nicht allein da. Plötzlich war da ein solches Zähnesaugen, dass es zischte, als würde ein Brunnen entwässert. Bald drang die allgemeine Unruhe an die Ohren des Aufsehers. Robert Goodwin kannte die Unverschämtheit dieses Geräusches sehr wohl. Er hob die Hände, um sie zu bitten, damit aufzuhören. Doch aus der Menge stieg ein ärgerliches Gemurmel und Gemurre auf. Einige entfernten sich sogar. Um sich Gehör zu verschaffen, musste Robert Goodwin sich heiser schreien wie ein Ausrufer. Schließlich brüllte er: »Aber dies eine solltet ihr wissen. Wenn ein Mann für eine Arbeit Geld bezahlt, wird er nur diejenigen einstellen, die fleißig und freudig arbeiten. Merkt euch meine Worte wohl: fleißig und freudig.«
    Caroline Mortimer, die während der ganzen Rede gefasst auf einem Stuhl gesessen hatte, blickte zu dem neuen Aufseher mit demselben Entzücken auf wie ein einsamer Junge zu einer Sternschnuppe. Als er schließlich geendet hatte, begann sie zu klatschen, doch dann spürte sie, wie hundert schwarze Augenpaare sie anblickten, und hielt inne. Oh, was für einen Sturm die Neger für die Missus heraufbeschworen. So viele wilde Augen. Fast wurde sie bei dem Anblick ohnmächtig. Sie begann, ihr süß parfümiertes Taschentuch vor ihrer Nase zu schwenken. Dann fragte sie den Aufseher: »Glauben Sie, wir haben ihre höchsten Empfindungen für mich jetzt wiederhergestellt, Mr Goodwin? Glauben Sie, nun wird alles gut?«
    Und ihr neuer Aufseher lächelte breit, tupfte sich mit einem weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und antwortete zuversichtlich: »O ja, Madam. Ganz und gar. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran.«

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    »Marguerite«, hörte July ihre Missus rufen, als schrecklich schwarze Wolken über Amity aufzogen und die Ländereien genauso fest umschlossen, wie ein Deckel auf einer Dose sitzt. Der Wind peitschte die Bambusrohre, bis sie sich zu Boden neigten. Er entblößte den Kapokbaum von allem außer rankendem Wein und brachte dessen Blätter zum Tanzen. Schreckliche Blitze – die Sonnenstrahlen des Teufels – zuckten hernieder wie gezackte Adern, bevor der Regen so heftig herabprasselte, als habe jemand Ungeschicktes einen riesigen Eimer umgestoßen. Und wieder rief ihre Missus: »Marguerite. Komm sofort her. Ich habe dich gerufen.« Wohin July blickte, ergossen sich Ströme von Wasser, schlängelten sich um Busch, Stein und Baum, um den schnellsten Weg zu finden. In der Nässe krochen Krabbeltiere mit vier, sechs, acht und hundert Beinen zu einer einzigen Masse zusammen; Eidechsen huschten aufgeregt aus ihren Verstecken, um sich an ihnen zu mästen; und Moskitos, die aus den Pfützen erwachten, stiegen als bösartige Dunstwolke auf. »Marguerite, wo bist du? Marguerite …« Nach der schwülen Hitze war es jetzt so kühl auf der Veranda, dass July ein wenig fröstelte. Langsam erhob sie sich von ihrem Schemel. Das hatte sie geschickt abgepasst. Ihre Missus sah, wie July herbeigerannt kam … von wer weiß woher; die Augen weit aufgerissen vor Sorge, dem Befehl ihrer Herrin zu folgen … natürlich.
    »Da bist du ja, Marguerite. Hast du mich nicht rufen hören?«
    »Oh, bin so gerannt, Missus, bin ganz außer Atem«, schnaufte July.

    »Geh zu Mr Goodwins

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