Das lange Lied eines Lebens
hätte unsere July Deckung im nächsten Busch gesucht oder sich hinter dem Pfeiler eines Hauses dünngemacht, damit Miss Clara sie nicht sah.
Geneigter Leser, du erinnerst dich doch noch an Miss Clara? Ich habe sie schon zu einem früheren Zeitpunkt erwähnt. Miss Clara, die einst Haussklavin auf Prosperity gewesen war. Die so tat, als müsse sie bei jedem groben Wort in Ohnmacht fallen. Die mit der Frage: »Gefällt dir mein Kleid oder mein hübsches helles Gesicht, dass de mich so anstarrst?« Die Terzerone, deren Papa ein Matrose aus Schottland war. Ja, genau die! Die schreckliche Miss Clara. Lass mich dir von ihr erzählen.
Miss Clara hatte sich ihre Freiheit lange vor vielen anderen verschafft. Nicht etwa, weil sie mit den vergilbten Freilassungspapieren, die ihr Papa ihr vermacht hatte, dauernd vor dem Gesicht ihrer Missus herumgewedelt hätte. Nein. Ihre Missus war froh, als Miss Claras arroganter Hintern aus ihren Diensten tänzelte, denn bei jeder Arbeit, die man ihr auftrug, gab sie stets nur zur Antwort: »Aber ich bin eine Terzerone, Missus.« Bald ließ Miss Clara sich nur noch dazu herab, die Kleidung ihrer Missus für den Tag – oder für den Abend – auszuwählen. Die einunddreißig Pfund Entschädigung für den Verlust ihrer Sklavin Miss Clara waren der Missus sehr viel mehr wert.
Und als sie endlich frei war, stolzierte Miss Clara in die Stadt, um ein kleines Geschäft zu eröffnen. Wie bei vielen Frauen mit einer Hautfarbe, deren Ton von Honig bis Milch reichte, und mit oft erwähnten Papas – aus England, Irland, Schottland oder Wales, allesamt vornehme, aufrechte weiße Gentlemen – bestand ihre Beschäftigung darin, Marmeladen und Essiggemüse einzukochen und zu verkaufen.
Ihre Ingwerkonfitüre und ihre eingelegten Limetten waren beliebt, doch ihr Guavengelee – »Miss Claras Guavengelee, oh, haben Sie ihn schon probiert?« – wurde zum Stadtgespräch vieler Weißer in der Gemeinde. Caroline Mortimer schickte July oft zu Miss Claras kleinem Schuppen in der Trelawny Street. (Oh, ich muss ihn einen Laden nennen, denn auch Miss Clara könnte dieses Buch lesen.) Und jedes Mal wenn July den Laden betrat, verschworen sich Miss Claras grüne Augen und zarter Mund zu mitleidigem Spott. »Oh, Miss July«, sagte sie dann, »an diesem heißen, heißen Tag hat dich deine Missus hergeschickt wegen meinem Guavengelee? Musst ja ganz erschöpft sein.« Dann bürdete sie ihr ein so großes, großes Glas auf, dass July es kaum zu heben vermochte, und sagte: »Ich weiß, deine Missus liebt meinen Gelee. Hab ihn extra für sie gemacht.«
Sie den Gelee gemacht? Ha! Glaubst du wirklich, du würdest jemals zu sehen bekommen, wie Miss Clara ihr hübsches Gesicht über einen dampfenden Topf beugt? »Nein, ich bin ’ne Terzerone. Aber ich beaufsichtige den Kochvorgang in jeder Hinsicht«, lautete ihre Antwort. Und höre, Miss Claras Rezept für Guavengelee war, wie sie erklärte, ihr Geheimnis – sie werde es niemandem verraten. Es werde sie bis ins Grab begleiten.
Doch warum soll der geneigte Leser so lange warten? Hier ist das geheime Rezept, damit du es nachkochen kannst, wenn du magst: Man nehme einen Korbvoll Guaven, schneide sie klein und koche sie auf die übliche Weise, bis sie weich sind; man fülle das Mus in ein Musselintuch und hänge es bis zum nächsten Morgen auf, damit die Flüssigkeit abtropft; man gebe die gleiche Menge Zucker und den Saft einer Limette hinzu; dann (und hierin liegt Miss Claras großes, großes Geheimnis) fische man die Fliegen heraus und würze die Flüssigkeit mit Zimt und Rum; und koche, koche, koche sie so lange, bis sie geliert.
Da hast du’s – jetzt braucht Miss Claras Grab nur noch ihre hübschen hellen Knochen aufzunehmen.
Mit den hohen Erträgen von ihrem Eingemachten und mit etwas Geld, das sie mit dem Verkauf von Heilkräutern zur Behandlung von Verdauungsstörungen und Gallenleiden verdiente, fühlte Miss Clara sich berufen, in den Gesellschaftsräumen der Stadt eine Reihe von Tanzveranstaltungen und Zusammenkünften zu organisieren. Diese Abendgesellschaften waren dringend erforderlich. Denn eine unglückselige Bekannte von Miss Clara (ich möchte ihren Namen nicht erwähnen, sondern nur sagen, dass es sich um eine Mulattin handelt, deren Papa ein Anwalt aus der Grafschaft Wexford in Irland war) hatte sich von einem Farbigen dazu überreden lassen, seine Haushälterin zu werden. Dieser Farbige hatte beteuert, seine Mama sei eine Mulattin, eine
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