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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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Haushälterin aus Westmoreland. Dann hatte er geschworen, sein Papa sei ein Buchhalter aus London. Das würde einen Terzerone aus ihm machen, und genau das behauptete der honigfarbene Mann auch von sich: ein Terzerone zu sein.
    Doch das Kind, das der Mulattin und dem angeblichen Terzeronen geboren wurde, kam dunkel wie eine Kakaobohne auf die Welt! »Wie hatte das nur geschehen können?«, jammerte Miss Claras Freundin. Statt die Haut der Mulattin weißer erscheinen zu lassen, hatte ihr Nachwuchs sie in die entgegengesetzte Richtung befördert. Und doch, trotz der Schmach dieses verkorksten Wurms weigerte sich die Frau, den betrügerischen Mann oder das schwarze Kind zu verlassen. Und so konnte Miss Clara unmöglich mit ihr befreundet bleiben.
    Als ihre Näherin, eine Mulattin, die glaubte, sie sei eine eheliche Verbindung mit einem Mulatten eingegangen (wovor Miss Clara sie gewarnt hatte, denn daraus könne nur ein weiteres wertloses Mulatten-Kind hervorgehen), als ihre Näherin also herausfand, dass der wortgewandte Mann nichts anderes als ein roter Neger war, beschloss Miss Clara, keine weitere Person aus ihrem Freundeskreis zu verlieren. Ein Zambo war auf die Welt gekommen, noch dazu mit einer breiten Nase! Miss
Clara hatte nun niemanden mehr, der ihre feinen Näharbeiten verrichten konnte.
    Der Teerpinsel, geneigter Leser, schlägt schnell zu. Denn eine Mulattin und ein Neger oder eine Terzerone und ein Zambo haben das Unglück, ein rückläufiges Kind hervorzubringen. Und ein dunkelhäutiger Abkömmling wird nirgends hingeschickt als auf die Felder, wo er mit den Niggern essen muss. Eine Mulattin mit einem Mulatten oder eine Terzerone mit einem Terzeronen, und schon stillst du ein »tente en el aire« – ein Kind in der Schwebe. Diese Kinder steigen weder zu den Weißen auf, noch sinken sie zu den Negern ab.
    Nur bei einem weißen Mann gibt es die Gewähr, dass die Hautfarbe deines Wurms sich aufhellt. Denn eine Mulattin, die ein Kind mit einem weißen Mann zeugt, wird eine Terzerone hervorbringen; und eine Terzerone, die eine Beziehung mit einem Weißen hat, wird der Welt eine Quarterone schenken; die Quarterone wird eine Quinterone zeugen; und die Quinterone … oh, die Tochter der Quinterone, die einen Weißen zum Papa hat, wird feststellen, dass jeder neue Tag sie nicht länger mit einem Stirnrunzeln, sondern mit einem Lächeln begrüßt, da sie endlich als hoch geschätzte Weiße durch die Welt schreitet.
    Auf dass wir alle weiß werden – das wurde Miss Claras Devise.
    Bei Miss Claras Freitagstänzen durften den farbigen Frauen daher nur weiße Männer vorgestellt werden. Sei es ein rothaariger Anwalt aus Galashiels, der immer nur von zu Hause sprach; ein betrunkener Matrose aus Bristol mit furchtbar puterrotem Gesicht; ein gut aussehender irischer Aufseher, der nie tanzen gelernt hatte; ein lüsterner Pflanzer aus Liverpool, der mehr als zwei Hände besaß; oder ein geckenhafter Händler aus Surrey, dem fast alle Zähne fehlten – solange Geld in ihrem Beutel klingelte, war jeder dieser weißen Männer willkommen, Miss Claras farbigen Frauen bei einer Quadrille oder einem schottischen Reel als Tanzpartner zu dienen. Oder ihnen einen
Madeira oder einen Punsch zu bringen. Oder ihnen bei einem Spaziergang in der Abendluft den Arm anzubieten. Aber nur weiße Männer.
    Das war für alle eine große Erleichterung. Bald redeten die farbigen Frauen der Gemeinde nur noch darüber: »Warste schon bei Miss Claras Tanzveranstaltung? Oh, musst zu Miss Clara kommen!« Und Miss Clara stieg höher auf, als ihr Guavengelee es ihr je gestattet hätte.
    Aber glaubst du, Miss Clara würde jemandem wie unserer July freudig Zutritt zu dieser erlauchten Gesellschaft gewähren? Für farbige Frauen, die Bekanntschaft mit weißen Männern schließen wollten, stellte Miss Clara eine Liste mit Eigenschaften zusammen, die sie aufweisen mussten, damit sie Zugang erhielten. Bei einer dieser Zusammenkünfte kam July nicht weiter als bis zur Tür, und schon stürzte sich Miss Clara auf sie.
    »Miss July«, sagte sie, »meine Tanzveranstaltungen sind nur für farbige Frauen, das weißte doch.«
    »Bin aber ’ne Mulattin, Miss Clara«, setzte July sie in Kenntnis. Denn wenigstens eine Mulattin musste July ja wohl sein. Schließlich war ihr Papa ein Weißer gewesen.
    »Hoffst doch nur, deine Hautfarbe aufzuhellen, Miss July. Bist keine Mulattin nich’. Scher dich fort«, sagte Miss Clara zu ihr.
    »Bin ’ne Mulattin!«, rief unsere

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