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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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hellhäutigen Terzerone wie Miss Clara erfreute.
    Doch als sie sich ihm zuwandte, um sich in seinem Beifall zu sonnen, stellte sie fest, dass seine Wangen sich leicht röteten, seine Brust sich mit schwerem Atem hob und seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst waren. Engländer sind oft schwer zu durchschauen, da sie eine unbewegte Miene, die keinerlei Gefühle verrät, für eine Tugend halten. Doch July
war eine Expertin in all ihren Verstellungskünsten und merkte sofort, dass sie dem Mann die falsche Antwort gegeben hatte. Aus welchem Grunde aber, das musste unsere July noch herausfinden.
    Als er gleich darauf sagte: »Wirklich? Ihr seid Freundinnen?«, war July schnell mit einer Antwort zur Hand: »Seit se inner Stadt wohnt, nich’ mehr ganz so eng, ich seh se kaum. Nein, wir sind nich’ so gut befreundet…«, geriet aber in große Schwierigkeiten, als er sie unterbrach und fragte: »Nimmst du an ihren Tanzveranstaltungen in den Gesellschaftsräumen teil?«
    Würde ihr ein Ja oder ein Nein die Gunst dieses Mannes sichern? July war verwirrt. Ein Ja könnte ihn zu dem freudigen Satz verleiten: »Dann wäre es mir eine Ehre, dich das nächste Mal zu begleiten, Miss July.« Vielleicht machte es ihm ja Spaß, in dieser Gesellschaft das Tanzbein zu schwingen; weiße Männer aus der ganzen Gemeinde fanden Vergnügen daran, und er war ein weißer Mann. Und die Wahrheit, die in einem Nein lag, würde ihm zeigen, dass sie eine Verstoßene war – zu dunkel und zu hässlich für diese hellhäutigen Festlichkeiten. Doch auch wenn July stets Angst hatte, einer weißen Person die Wahrheit zu sagen (denn ihre erdachten Geschichten wurden oft besser verstanden), war da etwas in seinem Benehmen – ein Stirnrunzeln?, seine Hand, die zu straff die Zügel hielt?, sein Fuß, der rhythmisch auf das Bodenbrett klopfte? (sie hätte dir nicht sagen können, was) –, das sie bewog, mit einem Nein zu antworten.
    Wie tief July ausatmete, als er die Worte ausstieß: »Ich bin so froh, das zu hören, Miss July.« Und als er mit verdrießlicher Geringschätzung fortfuhr: »Diese Tanzveranstaltungen sind kein Ort, den ein Christenmensch aufsuchen sollte«, hatte July auf einmal den Eindruck, als beginne sie diesen sonderbaren weißen Mann zu verstehen.
    »Nein«, sagte sie, »bleib lieber zu Hause.« Und dann fügte sie in einem Moment süßer Eingebung hinzu: »Um in meiner Bibel zu lesen.«

    Sein Gesicht strahlte vor so unverkennbarem Entzücken, dass ihn in England manche Leute vielleicht für treulos gehalten hätten, weil ihn eine so offensichtliche Freude über eine Niggerin erglühen ließ. »In deiner Bibel. Du liest gern in der Bibel, Miss July?«, fragte er.
    »O ja«, redete sie weiter.
    »Hast du denn auch eine Lieblingsgeschichte in der Heiligen Schrift?«
    »Ja«, antwortete July ohne Zögern, »mag am liebsten die Geschichte von der Erschaffung der Welt.«
    Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier gab es für July kein Zögern, da dies die einzige Geschichte in der Heiligen Schrift war, die sie kannte. Als Caroline Mortimer ihr die Buchstaben beigebracht hatte, hatte sie für Julys Unterweisung anfangs jenen großen, schweren, staubigen Folianten verwendet. Aber das kleine Schriftbild war so schwer zu entziffern und zu begreifen, dass die Missus lange, bevor Gott am siebenten Tage von allen seinen Werken ruhte, zu dösen begonnen hatte. Daraufhin tauschte ihre Missus das Buch, aus dem July vorlesen sollte, gegen ein anderes aus, in dem zwei törichte Schwestern – weiße Frauen, die keinerlei Arbeit verrichten mussten – ihre Tage damit verbrachten, sich jammernd darum zu sorgen, ob sie einen Ehemann finden würden.Von da an wurde die Bibel der Missus nur noch dazu verwendet, dass die Ungeratenen die Hand darauflegten, um zu schwören, dass sie die Wahrheit sagten (Molly musste so oft ihre Hand daraufklatschen, dass sie sie für eine Trommel hielt), doch nur selten wurde sie aufgeschlagen, damit Geschichten daraus entwichen.
    »Gibt es noch andere Stellen, die du magst?«, fuhr Robert Goodwin fort. July hob die Augen, als müsse sie über seine Frage nachdenken. »Vielleicht die Geschichte vom guten Samariter? «, fragte er.
    »O ja, die mag ich sehr«, antwortete July.
    »Und was ist mit Moses, wie er das Rote Meer teilt?«

    »Auch ’ne schöne Geschichte.«
    »Oder vielleicht die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen?«, wollte er wissen.
    »Mag se alle«, erklärte ihm July. »Aber die vom Ausruhen

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