Das lange Lied eines Lebens
am siebenten Tag ist mir die liebste.«
Da blickte er sie von der Seite an und lächelte ein so breites Lächeln, dass sie schon fürchtete, ihn aus irgendeinem Grund belustigt zu haben.
Deshalb beschloss July, nichts mehr zu sagen, es sei denn, er zwinge sie dazu. Wie sie so dahinfuhren, ergaben das Getrappel der Ponyhufe auf der Straße und das rhythmische Knarren und Knirschen des hölzernen Wägelchens eine eigentümliche Musik. Und obwohl July, wie sie so mit ihren im Schoß gefalteten Händen dasaß, sich wünschte, sittsam wie eine weiße Dame zu wirken, die in einer Kutsche reist, entging ihr doch nicht, dass das Bein des Aufsehers fest gegen ihr eigenes drückte. Sie spürte, wie es sich vor Anspannung versteifte, als er sich mühte, beim Lenken des Wägelchens Gleichgewicht zu halten. Wenn er ein schwieriges Manöver ausgeführt hatte, spürte sie, wie der starke Muskel seines Oberschenkels sich lockerte und entspannte. Seine Rockärmel waren bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt und entblößten die winzigen schwarzen Haare auf seinen nackten Unterarmen, die in der Brise zitterten; während er seine Hände, die die Zügel umfassten, so zierlich hielt, als führe er eine Dame beim Tanz. Und July roch den süßen Duft von Holzrauch, den er verströmte.
Doch als sie ihm listig ins Gesicht blickte und seine Wimpern betrachtete – die so dunkel und dicht waren, dass sie wie seidene Fransen an seinen Lidern wirkten –, wurde ihr auf einmal bewusst, dass, wenn sie selbst schon alles an ihm bemerkte, auch er sie verstohlen abschätzen würde: den schlecht geflickten Riss in ihrem hässlichen grauen Rock, das schäbige rote Tuch auf ihrem Kopf, das ihr strubbeliges Haar verdeckte, ihre noch immer zu breite Nase, ihre glanzlosen braunen Augen
und, natürlich, ihre schwarze Haut. July erstarrte vor Beklemmung, als das Wägelchen die Straße entlangrumpelte und seine Bewegungen die beiden sanft aneinanderdrückte – bald sie an ihn, bald ihn an sie.
Als in nächster Nähe die steinerne Wachhütte an der Einfahrt zu Amity auftauchte, wünschte sich July, sie könnte, bevor sie sich trennten, dem weißen Mann versichern, dass sie keine grobe Negerin war. Nein. Sie war eine Mulattin. Mochte er ihre Hautfarbe auch eine Spur zu dunkel finden, so wollte sie ihn doch mit dem Wissen trösten, dass sie nicht das Wurm eines Niggers war, sondern das Kind eines weißen Mannes. So brach sie denn das Schweigen, das sie so mühsam aufrechterhalten hatte, und fragte: »Massa, seid Ihr jemals in Schottland gewesen?«
»In Schottland?«, fragte Robert Goodwin in sichtlicher Verwirrung. »Nein, aber ich habe gehört, dass es dort sehr schön ist. Warum fragst du?«
»Mein Papa ist aus Schottland«, teilte ihm July voller Stolz mit.
»Dein Vater war Schotte?«
»O ja, war aus Schottland.«
»Dein Vater war ein Weißer?«
»O ja. Bin ’ne Mulattin, keine Negerin nich’.«
»Eine Mulattin?«
»Ja, ’ne Mulattin. Ihr dürft nich’ denken, dass ich ’ne Niggerin bin, bin ’ne Mulattin.« Dann wartete July auf ein Zeichen seiner Hochachtung. Sie war überzeugt, dass es jeden Augenblick erfolgen würde. Doch die Miene des Aufsehers verriet keinerlei Freude über diese seligmachende Gnade. Stattdessen wieder die errötenden Wangen, die schwellende Brust und die zusammengekniffenen Lippen. Aber warum? July war ganz verdutzt.
»Hat dein Vater dich gekannt, Miss July?»
Und wieder sah Tam Dewar sich aufgerufen, vorzutreten und seinen Platz in Julys Erzählung einzunehmen. »O ja«, sagte July.
»War er gut zu dir?«
»Gut zu mir, Massa?» July geriet ins Stocken, denn sie wollte keine Geschichte von der vermeintlichen Güte dieses teuflischen Mannes erfinden, nur damit Robert Goodwin sie mit einem Stirnrunzeln abtat.
»Hat er dir seinen Namen gegeben?«, fuhr der weiße Mann fort. »Hat er sich darum gekümmert, dass du getauft wurdest? Bist du zur Schule gegangen?«
July warf beinahe die Arme in die Höhe – sie hatte das Gefühl, als müsse sie laut schreien, so sehr reizte sie dieser Mann. Was für eine fantastische Geschichte würde sie erdichten müssen, um ihn zufriedenzustellen – denn die Wahrheit würde ihr bestimmt nicht dabei helfen, die Zuneigung dieses jungen Mannes zu gewinnen. Deshalb sagte sie: »Hat gesagt, er nimmt mich mit nach Schottland. Hat gesagt, er nimmt mich mit … irgendwann«, wobei sie das Gesicht des jungen Aufsehers dauernd nach Anzeichen der Beunruhigung absuchte. Als er weiterhin nur
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