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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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überzeugen, daß die Untersuchungskommissionen immer nur Schwachsinn verzapft hätten, und mir scheint, daß Sie ihnen das nicht abnehmen wollen. Aber es stimmt, glauben Sie mir. Auch der General Boglione erzählte nichts als Scheiß. Haben Sie je von ihm gehört?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Als der General Boglione, Ihr Landsmann dafür können
    Sie ja nichts, seien Sie nicht beleidigt, für mich sind Sie einer von uns –, vors Parlament geladen wurde, um sich wegen seiner übertriebenen Strenge, sagen wir mal so, bei der Repression in Sizilien nach der Einheit zu verantworten – unter anderem zog er mit Feuer und Schwert auch durch unseren Ort und ließ einen armen Teufel vierundzwanzig Stunden lang foltern, bis er endlich kapierte, daß der taubstumm war –, also dieser General Boglione besaß die Zivilcourage, in dem spezifischen Fall auch die militärische, vor dem Parlament zu behaupten, daß wir Sizilianer nicht dem gleichen Stamm entwachsen seien, der die anderen Völker zur Zivilisation geführt hat: Unserer Natur nach seien wir – so der Herr General – blutrünstige Mörder. Und aus diesem Grund war da nichts zu machen: Mörder mußten wie Mörder behandelt werden, und das hieß Verhaftungen, Erschießungen, Folterungen. Aber der General erzählte nichts als Mist, das werde ich Ihnen beweisen. Wenn wir so wären, wie der Herr General behauptet, dann müßte Romeres bei alldem Schaden, den er angerichtet hat, längst schon erschossen, gevierteilt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen worden sein. Wissen Sie etwa davon, daß Romeres tot ist?«
    »Nein«, erwiderte Lemonnier, »er lebt.«
      Bei sich dachte er: Den habt ihr am Leben gelassen, um ihn auf kleiner Flamme schmoren zu lassen. Doch gleich darauf bereute er seinen Gedanken, der seinem Wesen ganz und gar nicht entsprach; tatsächlich steckten die Sizilianer ihn mit ihrer Denkweise schon an.

    »Kannst du Seiner Exzellenz, meinem Vater, sagen, daß ich mit ihm sprechen muß?« sagte das Prinzensöhnchen.
    Er war schon über Vierzig, hatte mehr als nur einen Bauchansatz, aber alle redeten ihn weiterhin mit dieser verhaßten Verkleinerungsform an, mit der er sich wie ein Blödmann fühlte. Pasqualino, der Hausdiener, der auf Anordnung des Prinzen von morgens bis abends auf einem Sessel vor der verriegelten Tür hockte, hinter der der Edelmann sein Leben fristete, brauchte eine Ewigkeit, um sich zu erheben – sei es wegen der Arthritis, sei es wegen der neunzig Jahre, die er auf dem Buckel hatte, oder einfach, um dem Prinzensohn eins auszuwischen, der ihm schon zwei Tage nach der Geburt unsympathisch gewesen war. Als er endlich auf den Beinen war, schlug er dreimal mit der flachen Hand gegen die Tür, tat nach einer Pause nochmals zwei Schläge und schließlich einen weiteren, wesentlich stärkeren Schlag als die vorherigen. »Wer ist da?«
    »Wer soll schon dasein? Ich bin's.«
      Das Prinzensöhnchen hatte sich mit Geduld gewappnet: Er wußte von den anderen Malen, daß es eine langwierige Angelegenheit sein würde. Und in der Tat hörte man, wie hinter der Tür schwere Gegenstände verrückt, Schränke quietschend auf und zugemacht und schwere Truhen über den Boden gezogen wurden. Nach einer ganzen Weile wurde ein erster Riegel, dann ein zweiter und ein dritter aufgezogen. Darauf drehte sich langsam der Türknopf, und die Tür ging gerade so weit auf, daß Pasqualino seinen Kopf hineinstecken konnte. Der Prinz, der sich noch immer nicht persönlich zeigte, und der Hausdiener begannen eifrig miteinander zu zischeln und wollten gar nicht mehr aufhören; das Prinzensöhnchen befürchtete schon, einen Nervenanfall zu kriegen. Mit großer Anstrengung konnte er sich beherrschen, Pasqualino keinen Tritt in den Arsch zu verpassen, der sich seinem Blick darbot, und damit mit einem Streich Diener und Herrn zu Boden zu werfen. Während die Tür mit einem Knall wieder zuging, drehte Pasqualino sich um und verkündete: »Er sagt, daß Ihr, bevor Ihr eintretet, laut bis dreißig zählen müßt.«
      »Dann laßt uns zählen«, meinte der junge Prinz schicksalsergeben.
      Während er zählte, wurden die Geräusche im Innern des Zimmers immer heftiger, es schien, als schleudere der Prinz wie von der Tarantel gestochen eiserne und hölzerne Stücke zu Boden, wie eine Art Rasender Roland.
    »… und dreißig«, sagte der Prinzensohn. »Darf ich eintreten?«
    »Tritt ein.«
      Der junge Prinz drehte den Türknauf und trat ein. Im Zimmer herrschte beinahe

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