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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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vergessen?
      Die Tatsache, daß Don Angelino übergeschnappt war, bestätigte sich kurz darauf: Klar und deutlich vernahm Nino die Worte aus Don Angelinos Mund, und Schauder zuckten durch seinen Leib – ob er wegen des Winds oder des Fiebers, das ihm zu Kopf gestiegen war, zitterte, war nicht festzustellen.
    »Nino, ich sehe ihn! Ich kann den Rauch sehen!«
    Dann brach Don Angelino in Gelächter aus.
      Nino standen noch weitere zwanzig Lebensjahre bevor; Geschichten hatte er jede Menge erlebt, und so manche erwartete ihn noch. Doch diese Augenblicke, die sich auf immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatten, würden ohnegleichen bleiben und wurden dank seiner Schilderung, die im Laufe der Zeit keinerlei Abweichungen erlebte, zur Dorflegende: Das Gelächter also, das »klingt, als schlüge man zwei leere Sardinenbüchsen gegeneinander«, und das Fernglas, das ihm aus den Händen fällt und auf dem Dach des Hauses darunter zerschlägt; und dann Don Angelino, der sich nach vorne beugt, als hätte er Magenkrämpfe, und sich mit letzter Kraft an dem Mäuerchen festhält; und der Wind, der es endlich schafft, ihm den steifen Hut vom Kopf zu reißen; und belustigt, ja belustigt, als handele es sich um einen Scherz, die Worte, die Don Angelino zu dem versteinerten Nino sagt: »Hilf mir, Nino, siehst du nicht, daß es mit mir zu Ende geht?«
    »Der Rauch ist zu sehen!«
    Über die Straße rannte ein junger Bursche und brüllte einem Kumpel die Nachricht zu, und das Echo seiner Stimme prallte gegen die Holzfensterläden des Zimmers, in dem Gaetano genannt Stefano sich in immer tiefere Gebete hineinsteigerte. Doch wiederum nicht so tief, als daß er diesen Ruf nicht wie einen echten Dolchstoß in den Rücken erfahren hätte. Wie zur Abwehr zog er instinktiv den Hals noch tiefer ein, und die Worte des Paters, die er aufsagte, zerfielen zu bedeutungslosen Silben. Dann hob er mit einem Ruck den Kopf, als sei der Heilige Geist in ihn gefahren. Sicherlich war es das Verdienst von San Calogero, dem in diesem Augenblick sein Gebet galt, wenn der Eindruck, den die von der Straße heraufschallenden Worte auf ihn gemacht hatten, sich zu einem klaren Bild, einer präzisen Weisung verdichteten. Wie zur Bestätigung glitt sein Blick über die Wand zur Rechten, wo auf der Höhe der sechsten Schublade des Schränkchens das Heiligenbild des frommen Eremiten Pasquale Capizzi hing, der sich anschickte, mit einem Ölbaumzweig auf sich einzupeitschen, und lüstern seinen Blick auf ein dichtes Dornengestrüpp richtete, in das er sich nach glorreicher Beendigung seiner Züchtigung zu stürzen pflegte. Unten in der Garage gab es Peitschen und Pferdestöcke genug, doch er traute sich nicht, bis ins Erdgeschoß hinunterzusteigen, da er Gefahr lief, unterwegs Bediensteten oder Familienangehörigen zu begegnen. Seinen Mund aber wollte er einzig und allein fürs Gebet aufmachen. Aufrecht inmitten des Zimmers stehend, blickte er wild entschlossen um sich, mächtig war in ihm der Drang, sofort das auszuführen, was ihm wunderbarerweise aufgetragen worden war, doch er konnte nichts Zweckdienliches finden. Mit einemmal fiel ihm ein, daß sich auf dem Dachboden noch alte Pferdepeitschen aus geflochtenen Seilen und Schilfrohr befanden. Schon eilte er, zwei Stufen auf einmal nehmend, zum Speicher; er drehte nicht einmal am Drehknauf, er wußte, daß ein Tritt gegen die Tür genügte, und sie stand sperrangelweit offen. Schon auf der Schwelle entdeckte er in der hinteren Ecke zwei oder drei Pferdeknuten mit bunt verzierten Lederriemen, die man gewöhnlich benutzte, wenn das Pferd und der Wagen festlich gerüstet wurden. Im selben Augenblick, während er mit ausgestrecktem Arm auf sie zuging, bemerkte er aus dem linken Augenwinkel eine rasche, heftige Bewegung am Fenster, die eine Verdoppelung von Umrissen im Gegenlicht zur Folge hatte.
    Meine Frau und der Stumme. Es ist Dienstag, Unterrichtstag, dachte er und ergriff einen Pferdestock, den er am liebsten geküßt hätte, doch er hielt an sich, die dort sahen ihm ja zu. Im Eilschritt ging er wieder zurück und erkannte diesmal aus dem Winkel des rechten Auges das erschrockene Antlitz von Heike, die mit ausgebreiteten Armen gegen die Wand gepreßt dastand und aussah wie ein aufgespießter Schmetterling, sowie das glühend rote Gesicht des Stummen, der sich wie ein Affe krümmte und die Hände gegen die Stelle preßte, wo die Schamteile sind, so, als erwarte er, dort mit Tritten traktiert zu werden. Er

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