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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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schloß die Tür nicht hinter sich, denn bereits im Speicherraum hatte er begonnen, Jacke und Hemd auszuziehen, die er jetzt auf die Treppe fallen ließ; das wollene Unterhemd, das er wegen seiner anfälligen Gesundheit auch im Sommer trug, streifte er genau vor seiner Stube ab. Als er endlich wieder drinnen war, kniete er nieder und begann, sich heftig mit der Knute zu peitschen. Eins, zwei, drei, immer stärker und immer schneller, hatte man erst mal damit angefangen, ging es einem leicht von der Hand, und die Riemen verwickelten sich nicht immer wieder, sondern trafen den richtigen Punkt. Der Schmerz wurde so langgezogen und anhaltend, daß er ihn beinahe nicht mehr spürte. Hartnäckig machte er weiter, und seinem Mund entwich ein langgezogener Klagelaut, bis er schließlich auf dem Boden lag und vor lauter Tränen nicht mal mehr die Kerzenflammen erkennen konnte.
      »Tut mir diese Gnade, Madonna«, flehte er aus tiefstem Herzen, bevor er erschöpft innehielt. Genau in dem Augenblick – für die Stunde und seine Lage völlig absurd – kam ihm störend die Szene vom Speicher wieder in den Sinn.

    In der Galerie des Leuchtturms reizte der Geruch nach Azetylen zum Husten. Kapitän Caci, der Lotse, nahm die Hand vom Fernrohr, rieb sich mit einem Finger das Auge und sprach kein Wort.
      »Und?« fragte Michele Carrubba, der Leuchtturmwächter.
      »Meiner Meinung nach steuern die geradewegs in die Scheiße«, lautete Kapitän Cacis Urteil.
      »Was machen Sie? Ist es nicht besser, wenn Sie hinausgehen?«
    »Ich?«
    »Wer sonst? Sind Sie etwa nicht der Lotse?«
      »Lotse? Ja, sicher. Aber blöd bin ich nicht. Die haben kein Signal gesetzt.«
      Michele Carrubba neigte sich nach vorn, um durchs Fernrohr zu sehen.
      »Schau ruhig, nur zu«, meinte Kapitän Caci. »Willst du damit sagen, daß ich nicht mehr gut sehe?«
      »Sie haben das Signal nicht gesetzt«, sagte Michele Carrubba, »einverstanden, aber sollte das vielleicht bedeuten…«
    »Das bedeutet nur eine Sache«, schnitt Kapitän Caci ihm das Wort ab, »daß sie keinen Lotsen wollen. Wenn sie glauben, so große Erfahrung zu besitzen, daß sie es alleine schaffen, sollen sie ruhig, in Teufels Namen.«
      »Möglicherweise begreifen die nicht die Bohne«, gab der Mann vom Leuchtturm nicht nach. »Haben die etwa eine Ahnung von den hiesigen Meeresuntiefen? Die meinen vielleicht, sie können ganz ruhig vor sich hin schippern, und eh sie sich's versehen, steht das Wasser ihnen schon bis zum Hals.«
      »Und aus diesem Grund, glaubst du, sollte ich meine Männer rufen, sie bei dem Wetter ins Boot steigen und rudern lassen, bis sie Blut schwitzen, damit sie dann auf den Dampfer dieser Scheißrussen klettern und sie heil und gesund in den Hafen lotsen? Und die dann, wenn sie in Sicherheit sind und den Anker geworfen haben, zu mir sagen: Wir lassen grüßen…?«
    »Nun, wenn es echte Seeleute sind…«
      »Seemannsleut' taugen kein' Deut«, meinte Kapitän Caci.
      Michele Carrubba fehlte der Mut, seine Rede fortzusetzen. Kapitän Caci war ein guter Kerl, doch er hatte einen echten Kalabresenschädel, härter als Stahl, und nicht mal die Ankerkette konnte ihn von seinem einmal getroffenen Entschluß abbringen. Einmal hatte er es fertiggebracht, drei Tage und drei Nächte auf einem Ast zu hocken, wo er rote Mispeläpfel pflückte, nur weil seine Frau ihn drängte, doch bitte herunterzusteigen.
    »Wenn die vorher nicht den Lotsenruf setzen, rühr ich mich keinen Millimeter vom Fleck«, sagte Kapitän Caci in das Schweigen hinein, das mehr oder weniger auf ihm lastete. »Vergangenes Jahr habe ich mit einem englischen Schiff einen totalen Reinfall erlebt. Es war übles Wetter, genau wie jetzt, und ich, gutherzig wie ich nun mal bin, bin dem Dampfer entgegengefahren und habe ihn in den Hafen gelotst. Ergebnis war, daß sie keine Lira herausrückten, denn ihrer Meinung nach habe ich alles auf eigene Faust getan. Meine Männer habe ich dann aus eigener Tasche bezahlen müssen. Die daraus gezogene Lehre lautet: Sie rufen mich, ich geh hin, sie bezahlen.«
    »Was soll das heißen?« fragte Michele Carrubba wieder.
      »Das heißt nichts. Ich wollte es dir nur erklären. Du hältst den Leuchtturm in Betrieb, ich stehe hier zu Diensten, das Lotsenboot und die Männer sind am Ufer bereit, und wir haben ein reines Gewissen. Wenn die sich die Hörner brechen, nur weil sie zwei Groschen sparen wollen, ist das etwa unsere Schuld?«

    »Das Fernglas

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