Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
der Untersuchung in der Röhre haben sie’s dann gesehen: Mir fehlt die Lügenknetmaschine im Gehirn. Ich kann keine Fantasy-Parabel schreiben. Es sei denn, mir begegnet demnächst ein sprechendes Einhorn. Nein, ich kann nur erzählen, was ich von vorne bis hinten gefühlt habe. Ich bin der Typ, der sich in die Pfanne legen muss, um über Bratkartoffeln zu sprechen.«
Cuneo brachte ihnen selbstgemachtes Lavendeleis. Es schmeckte herb und blumig zugleich.
Die unbegabte Lügnerin sah dem Neapolitaner nach.
»Er ist klein, dick und, objektiv gesehen, nicht in der ersten Reihe der Männer, die auf ein Wandposter gehören. Aber er ist klug, stark und kann wahrscheinlich alles, was wichtig ist für ein liebevolles Leben. Er ist für mich der allerschönste Mann, den ich je küssen werde«, sagte Samy. »Merkwürdig, dass solche guten, großartigen Menschen nicht viel mehr geliebt werden. Sind sie zu sehr unter ihrem Aussehen getarnt, dass niemand merkt, wie ihre Seele, ihr Wesen, ihre Prinzipien bereit sind für Liebe und Güte?«
Sie seufzte lange und wohlig. »Seltsamerweise wurde ich auch nie geliebt. Früher dachte ich, es läge ebenfalls daran, dass ich komisch aussehe. Dann dachte ich, warum gehe ich auch immer an die Orte, wo die paar Kerle schon jeder eine Frau haben? Bei den Käsebauern in Vaucluse … lieber Himmel, lauter alte Dachse, für die ist eine Frau wie eine große, zweibeinige Ziege, die auch Wäsche wäscht. Ein Kompliment ist das, wenn sie dir guten Tag sagen.«
Samy lutschte versonnen an ihrem Eis.
»Ich glaube – und korrigiere mich, wenn ich nur in meine weltfraulichen Einsichten verliebt bin: Erstens gibt es Liebe, die in der Unterhose gedacht wird. Die kenne ich. Macht Spaß für fünfzehn Minuten. Zweitens gibt es Liebe, die mit dem Kopf gedacht wird. Die kenne ich auch, da suchst du dir Männer aus, die objektiv gut in dein Gefüge passen oder deine Lebensplanung nicht zu sehr stören. Aber sie verzaubern dich nicht. Und drittens gibt es die Liebe, die mit der Brust oder dem Solarplexus oder irgendwo dazwischen gemacht wird. Das ist die, die ich will. Da soll Zauber sein, der mein System Leben erhellt bis in die kleinste Schraube. Was denkst du?« Sie streckte ihm die Zunge raus, eine eislilafarbene Zunge.
Er dachte, dass er nun wusste, was er fragen musste.
»Samy?«, fragte er.
»Was denn, Jeanno?«
Sie redete zwar anders, aber das war immer so. Was Schriftsteller schrieben, das war der Sound ihres Herzens, ihrer Seele.
»Du hast Südlichter geschrieben, nicht wahr?«
33
E s war sicher nur ein Zufall, dass in dem Moment die Sonne so zwischen zwei Wolkenhaufen hindurchleuchtete, dass sie einen Lichtkegel bildete, der, einem Fingerzeig gleich, von ganz oben auf Samys Augen fiel. Er hellte sie auf. Zwei entzündete Kerzen.
Samys Gesicht geriet in Bewegung.
»Ja«, gab sie leise zu, dann, lauter: »Ja.«
»Ja!«, rief sie, lachend und weinend, warf die Arme hoch, »und ich wollte mit diesem Buch meinen Mann herbeirufen, Jeanno! Einen, der mich liebt, dort zwischen seiner Brust und seinem Nabel. Ich wollte, dass er mich findet, weil er mich gesucht hat, weil er mich träumte, weil er all das, was ich bin, genießt, und das, was ich nicht bin, nicht braucht – aber, Jean Perdu, weißt du was?«
Sie weinte und lachte immer noch zugleich.
»Du hast mich gefunden. Aber du bist es nicht.«
Sie wandte sich um.
»Der Kerl in seiner Blümchenschürze mit seinen schönen festen Kugelmuskeln. Mit seinem Schnurrbart, der mich kitzeln wird. Der ist es. Du hast ihn zu mir gebracht. Du und Südlichter, ihr beide habt ihn gebracht. Auf eine ganz magische Weise.«
Jean ließ sich von ihrer Freude anstecken. Sie hatte recht, so wunschlich sich das auch anhörte – er hatte Südlichter gelesen, er hatte in Cepoy haltgemacht, Salvo getroffen, und von dort aus … presto, da waren sie.
Samy wischte sich über das tränensalzige Gesicht. »Ich musste mein Buch schreiben. Du musstest es lesen. Du musstest all das durchleben und durchleiden, um endlich in dein Boot zu steigen und loszufahren. Lass es uns so glauben. Ja?«
»Natürlich, Samy. Ich glaube daran. Es gibt Bücher, die sind nur für einen einzigen Menschen geschrieben. Südlichter war für mich.« Er sammelte Mut. »Ich habe all die Zeit nur mit deinem Buch überlebt«, gestand er dann. »Ich habe alles verstanden, was du denkst. Es war, als hättest du mich gekannt, bevor ich mich kannte.«
Sanary-Samy schlug sich vor den
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