Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
jetzt nur noch dich und mich und Luc, und das, was zwischen uns dreien entstanden ist. Jeder hat daran mitgetan. Jetzt werde ich versuchen zu retten, was zu retten ist. Über Strafe will ich nicht grübeln. Unglück ist demokratisch für alle da.
Wann werde ich aufgeben?
Ich hoffe, erst danach.
Ich will noch miterleben, ob die Rettung gelingt.
Die Ärzte haben mir angeboten, Ibuprofen oder Opiate zu nehmen, die angeblich nur im Gehirn wirken und die Elektrosignale unterbrechen, die über das Lymphsystem zwischen meiner Achsel, der Lunge, dem Kopf stattfinden.
An manchen Tagen bewirkt das, dass ich nicht mehr in Bildern träume. An anderen, dass ich Sachen rieche, die mich an früher erinnern. Ganz früher. Als ich noch Kniestrümpfe trug. Oder dass die Dinge anders riechen. Kot wie Blumen. Wein wie brennende Reifen. Ein Kuss wie der Tod.
Aber ich will ganz sicher sein. Deswegen verzichte ich.
Manchmal sind die Schmerzen so stark, dass ich die Wörter verliere und dich nicht treffen kann. Dann belüge ich dich. Ich schreibe mir die Sätze auf, die ich dir sagen will, und lese sie ab. In meinem Kopf fange ich die Buchstaben nicht mehr ein, wenn die Schmerzen kommen. Alles Buchstabensuppe. Verkochte Buchstaben, Abc-Gulasch.
Ein paarmal war ich gekränkt, dass du dich hast belügen lassen. Ein paarmal war ich auch voller Ärger, dass du mir überhaupt passiert bist. Zum Hassen hat’s nie gereicht.
Jean, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, ob ich dich wecken soll und dich anflehen, mir zu helfen. Ich weiß nicht, ob ich diese Seiten herausreißen soll. Oder sie kopieren und dir schicken. Dann. Oder nie. Ich schreibe, um besser zu denken.
Für alles andere geht mir so oder so die Sprache verloren.
Ich rede zu dir jetzt noch mehr mit meinem Körper. Diesem müden, kranken Holz des Südens, aus dem sich nur noch ein einziger grüner, zarter Trieb hervorwindet; er kann zumindest die rudimentärsten Wünsche ausdrücken.
Liebe mich.
Halte mich.
Streichle mich.
Panikblüte, sagte Papa. Kurz bevor die großen Hölzer vergehen, blühen sie noch einmal auf. Pumpen ihre ganze Kraft in den letzten Trieb, der noch erbsenfrei ist.
Du hast mir neulich gesagt, wie schön ich bin.
Ich stehe am Beginn der Panikblüte.
Neulich nachts hat Vijaya angerufen, aus New York. Du warst noch auf dem Schiff und hast die neueste Ausgabe von Südlichter verkauft. Am liebsten willst du, dass es jeder liest, dieses schöne, kleine, seltsame Buch. Du hast mal gesagt, dass es kein gelogenes Buch ist. Nichts Ausgedachtes, nichts mit Worten Verschönertes. Sondern alles wahr.
Vijaya hat neue Arbeitgeber, zwei seltsame Zellforscher. Sie glauben, der Körper macht die Seele und den Charakter, nicht das Gehirn. Sie sagen: Es sind die anderen Milliarden Zellen. Und was mit denen geschieht, geschieht der Seele.
Schmerzen, sagte er, pain for example, Schmerzen zum Beispiel, die polen alle Zellen um. Schon nach drei Tagen beginnen sie damit. Aus Erregungszellen werden Schmerzzellen. Aus Sinneszellen werden Angstzellen. Aus Koordinationszellen werden Nadelkissen. Und zum Schluss ist jede Zärtlichkeit nur Weh, jeder Windhauch, jede Musikvibration, jeder sich nähernde Schatten ein Angstauslöser. Und an jeder Bewegung, in jedem Muskel nährt sich gierig der Schmerz und gebiert Millionen neuer Schmerzrezeptoren. Du wirst innerlich vollständig umgebaut, ausgetauscht, und von draußen siehst’s keiner.
Am Ende, at least, willst du nie mehr berührt werden, sagt Vijaya. Einsam wirst du.
Schmerz ist Seelenkrebs, sagt dein ältester Freund, er sagt es, wie Wissenschaftler das machen, er denkt nicht an die Übelkeit, die solche Sätze bei Nichtwissenschaftlern auslösen. Er sagt mir all das voraus, was mir passieren wird.
Schmerz macht den Körper dumm und den Kopf auch, weiß dein Vijaya, man vergisst, man denkt nicht mehr logisch, nur panisch. Und in den Graben, den die Schmerzen ins Hirn furchen, fallen alle hellen Gedanken hinein. Alle Hoffnungen. Am Ende fällst du hinein und bist fort, dein ganzes Ich, verschlungen von pain and panic.
Wann sterbe ich?
Rein statistisch: garantiert.
Ich hatte vor, noch die »Dreizehn Desserts zu Weihnachten« zu essen. Maman ist die Meisterin der Biscuits und der Mousse, Papa wird die vier Teile Früchte beitragen, Luc die schönsten Nüsse polieren. Drei Tischdecken, drei Kerzenleuchter, drei gebrochene Brotstücke. Ein Brot für die Lebenden zu Tisch. Ein Brot für das Glück, das noch kommt. Und ein Brot, das
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