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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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mit dem Wagen gefahren, von Paris nach Mazan. Ich wollte meine Geliebte sehen, wir hatten uns dort verabredet, in dem kleinen HÔtel Le Siècle, gegenüber der Kirche. Da war ich glücklich. Die ganze Fahrt über. Ich habe gesungen. Ich habe mir ihren ganzen Körper vorgestellt und ihn besungen.«
    »Vier Stunden lang? Das ist ja entsetzlich schön.«
    »O ja. Ich war in den vier Stunden glücklicher als in den vier Tagen danach. Aber wenn ich heute an diese vier Tage denke, bin ich glücklich, dass ich sie erlebt habe.« Jean stutzte. »Ist Glück etwas, zu dem wir uns erst im Rückblick entscheiden? Merken wir gar nicht, wenn wir glücklich sind, sondern erkennen viel später, dass wir es waren?«
    »Igitt«, seufzte Samy. »Das wäre ja eine ganz blöde Sache.«
    Diese Einsicht des verzögerten Glücksgefühls spukte in den kommenden Stunden durch Jeans Kopf, während er zügig und sicher über die Rhône steuerte, die hier wie eine Schiffsautobahn wirkte. Niemand stand am Ufer und winkte sie heran, um Bücher zu kaufen. Und die Schleusen waren vollautomatisch und fertigten Dutzende Schiffe gleichzeitig ab.
    Die stillen Tage auf den Kanälen waren endgültig vorbei.
    Je näher Jean Manonland kam, desto mehr fiel ihm ein, was er mit Manon erlebt hatte. Wie sie sich angefühlt hatte.
    Als hätte Samy seine Gedanken gelesen, sinnierte sie laut: »Ist es nicht erstaunlich, dass Liebe so körperlich ist? Der Körper erinnert sich mehr daran, wie sich jemand anfühlte, als der Kopf an das, was der Mensch alles gesagt hat.« Sie pustete über die feinen Härchen auf ihrem Unterarm. »Ich erinnere mich an meinen Vater vor allem als Körper. Wie er roch und wie er ging. Wie es sich anfühlte, meine Wange an seine Schulter zu legen oder meine Hand in seiner zu verstecken. Ich erinnere mich an seine Stimme fast nur, wie er ›Sasa, meine Kleine‹ sagte. Mir fehlt die Wärme seines Körpers, und ich finde es immer noch empörend, dass er nie mehr ans Telefon gehen wird, obwohl ich ihm doch etwas Wichtiges erzählen will. Gott, macht mich das wütend! Aber am meisten fehlt er mir als Körper. Da, wo er immer war, in seinem Sessel, ist nur noch Luft. Leere, blöde Luft.«
    Perdu nickte. »Der einzige Fehler ist nur, dass so viele, hauptsächlich Frauen denken, ihr Körper müsste perfekt sein, um geliebt zu werden. Dabei muss er nur lieben können. Und sich lieben lassen«, ergänzte er.
    »Oh, Jean, sag das bitte noch mal laut«, lachte Samy und reichte ihm das bordeigene Mikro. »Geliebt wird der, der liebt – noch eine Wahrheit, die so gründlich vergessen wurde. Ist dir aufgefallen, dass die meisten am liebsten geliebt werden wollen und sich dafür richtig ins Zeug legen? Diäten, Geldscheffeln, rote Unterwäsche … wenn sie mal so eifrig lieben würden, halleluja, die Welt wäre so schön und frei von Bauchwegstrumpfhosen.«
    Jean lachte mit ihr. Dann dachte er an Catherine. Sie waren beide zu zart, zu verletzlich gewesen und hatten mehr Sehnsucht danach gehabt, geliebt zu werden, als Kraft und Mut zu lieben. Lieben brauchte so viel Mut und so wenig Erwartung. Würde er je wieder gut lieben können?
    Ob Catherine meine Karten überhaupt liest?
    Samy war eine, die gut zuhörte, alles aufnahm und ihm zurückspielte. Sie war mal Lehrerin gewesen, in der Schweiz, in Melchnau, erzählte sie. Schlafforscherin in Zürich, technische Zeichnerin für Windkraftfelder auf dem Atlantik, sie hatte Ziegen im Vaucluse gezüchtet und Käse gemacht.
    Und sie besaß eine angeborene Schwäche: Sie konnte nicht lügen. Sie konnte schweigen, Antworten verweigern – aber sie war nicht fähig, willentlich zu lügen.
    »Stell dir das mal bitte in unserer Gesellschaft vor«, sagte sie. »Ich hab als Mädchen solchen Ärger damit bekommen! Alle dachten, ich sei ein garstiges Ding, das sich einen Riesenspaß daraus macht, unhöflich zu sein. Fragt der Kellner im Nobelrestaurant: ›Hat’s geschmeckt?‹, und ich antworte: ›Nee, echt nicht.‹ Fragt die Mutter einer Klassenkameradin nach dem Geburtstag: ›Und, Samylein, hat’s dir gefallen?‹ Und ich versuche wirklich, mir ein ›Ja‹ abzupressen, aber alles, was ich herausbekomme ist: ›Nein, es war öde, und Sie haben Mundgeruch, weil Sie zu viel Rotwein trinken!‹«
    Perdu lachte. Erstaunlich, wie nahe man seinem Wesenskern als Kind ist, dachte er, und wie sehr man sich davon entfernt, je mehr man versucht, geliebt zu werden.
    »Mit dreizehn bin ich von einem Baum gefallen, und bei

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