Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
ihrem Regencape über dem Arm vor der Tür.
»Ich hoffe, du nimmst mich wirklich mit, Salvo, obwohl du deine Einladung natürlich anders gemeint hast. Ich habe hier lang genug gelebt«, begrüßte sie ihn. »Fast zehn Jahre. Eine ganze Stufe, im Sinn von Hesse. Jetzt wird es Zeit, nach Süden zu fahren und wieder atmen zu lernen, das Meer zu sehen und noch mal einen Mann zu küssen. Meine Güte, ich bin bald Ende fünfzig, ich komme ins beste Alter.«
Cuneo sah der Bücherfrau in die dunkelblauen Augen.
»Mein Angebot gilt, Signora Samy Le Trequesser«, sagte er. »Ich halte mich zu Ihrer Verfügung.«
»Ich habe das nicht vergessen, Salvatore Cuneo aus Neapel.«
Er organisierte ihnen ein Lasttaxi.
»Ähem … gehe ich recht in der Annahme«, fragte Perdu perplex, als Salvo die Koffer wenig später über die Gangway wuchtete, »dass Sie hier nicht nur essen, sondern einziehen wollen?«
»Gehen Sie, mein Lieber – darf ich denn? Für eine kleine Weile? Bis Sie ablegen und mich dann über Bord schmeißen?«
»Klar. Bei den Kinderbüchern ist noch ein Sofa frei«, sagte Max.
»Darf ich dazu auch etwas anmerken?«, fragte Perdu.
»Wieso, wollten Sie etwas anderes als ja sagen?«
»Äh, nein.«
»Danke.« Samy war sichtlich gerührt. »Sie werden kaum etwas von mir hören, ich singe wirklich nur im Schlaf.«
Auf der Postkarte, die Perdu in dieser Nacht an Catherine schrieb, standen die Wörter, die Max am Nachmittag erfunden hatte, um sie Samy beim Abendessen vorzustellen.
Samy fand sie so schön, dass sie sie ständig leise wiederholte, wie um ihren Klang auf der Zunge hin- und herzurollen, wie ein süßes gebackenes Teilchen.
Sternensalz (wenn sich die Sterne auf den Flüssen spiegelten)
Sonnenwiege (das Meer)
Zitronenkuss (Alle wussten genau, was damit gemeint war!)
Familienanker (der Esstisch)
Herzkerber (der erste Liebhaber)
Zeitschleier (Man dreht sich einmal im Sandkasten um und ist ein alter Mensch, der sich in die Hosen macht, wenn er mal lacht.)
Traumseits
Wunschlichkeit
Letzteres wurde Samys liebstes neues Wort.
»Wir leben alle in der Wunschlichkeit«, sagte sie, »und jeder in einer anderen.«
32
D iese Rhône ist, diplomatisch gesagt, ein Alptraum«, sagte Max und deutete auf das Atomkraftwerk. Es war das siebzehnte, seit die Saône bei Lyon in die Rhône übergegangen war. Schnelle Brüter hatten sich abgewechselt mit Weinbergen und Autobahnen. Cuneo hatte aufgehört zu fischen.
Sie waren noch drei Tage in Cuisery und seinen Buchkatakomben umhergestreift. Nun näherten sie sich der Provence. Sie konnten die Kalkberge erkennen, die sich bei Orange als das Foyer zu Frankreichs Süden auftürmten.
Der Himmel hatte sich verändert. Er begann, das tiefe Blau anzunehmen, wie es über dem Mittelmeer in der Hitze des Sommers leuchtete, wenn sich Wasser und Himmel spiegelten und verstärkten.
»Wie gefalteter Blätterteig, blau auf blau auf blau. Blaukuchenland«, murmelte Max.
Er fand eine süße Sucht darin, Begriffsbilder zusammenzustecken. Er spielte mit Worten Fangen.
Manchmal griff Max bei seinen Wortspielen daneben, und Samy lachte herzhaft. Sie lachte, wie ein Kranich trompetete, fand Jean.
Cuneo war ganz und gar vernarrt in Samy, auch wenn sie bisher nicht auf sein Angebot zurückgekommen war. Sie wollte erst, dass Perdu das Rätsel löste.
Häufig saß sie bei Perdu im Steuerraum, und sie spielten ja-nein-weiß-nicht.
»Hat Sanary Kinder?«
»Nein.«
»Einen Ehemann?«
»Nein.«
»Zwei?«
Ihr Lachen war ein ganzer Kranichschwarm.
»Hat sie je ein zweites Buch geschrieben?«
»Nein«, sagte Samy gedehnt. »Leider nicht.«
»Hat sie Südlichter geschrieben, als sie glücklich war?«
Langes Schweigen.
Perdu ließ den Anblick der Welt an sich vorbeiziehen, während Samy ihre Antwort abwog.
Von Orange kämen sie zügig bei Châteauneuf-du-Pape vorbei. Am Abend würden sie bereits in Avignon essen können.
Und von der alten Papststadt aus wäre Jean mit einem Mietauto in einer Stunde in Bonnieux, im Luberon.
Zu schnell, dachte er. Soll ich, um mit Max’ Worten zu sprechen, bei Luc klingeln und sagen: »Hallo, Basset, alter Weinflüsterer, ich bin der ehemalige Geliebte deiner Frau.«
»Ja bis nein«, antworte Samy. »Schwierige Frage. Man sitzt selten tagelang da und wälzt sich in seinem Glücksgefühl wie ein Schnitzel in Mehl, oder? Glücklichfühlen, das ist so flüchtig. Wie lange warst du mal am Stück glücklich?«
Jean überlegte.
»Etwa vier Stunden. Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher