Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
ciaò, prego, grazie, buona notte« und »gnocchi« sagen.
Gnocchi machen wir zum Nachtessen. Sobald Tina die Kartoffelteigbällchen über die Gabel gerollt hat, darf ich sie ins heiße Wasser werfen, später mischen wir einen »sugo al pomodoro« darunter. Tina kann auch walliserisch kochen, Mama hat sie das gelehrt.
Unsere Durchreiche zur Küche braucht niemand, wir könnten sie als Kasperletheater benutzen. Anton und Tina finden die Idee toll.
»Komm Herr, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen.«
Bevor ich mit dem Essen beginnen kann, muss es raus: »Wisst ihr, was ich vom Christkindli will? Kasperlefiguren! Und dann …«
»Erstens hast du nichts zu wollen«, sagt Papa, »und zweitens redet man nicht mit vollem Mund.«
Mama meint, ich soll wenigstens »wünschen« sagen.
»Manchmal ist es besser, wenn Wünsche nicht in Erfüllung gehen. So lernt man verzichten«, sagt Papa, und zu Anton, »du hast schon wieder schmutzige Fingernägel!«
Mein Bruder schaut kurz seine Hände an. »Wenigstens kau ich nicht die Häutchen ab wie die!«
Ich verstecke sofort die Daumen unter den anderen Fingern. »Regt Papa nicht auf, er hat es sehr streng gehabt, zudem kommt heute noch Seidel!«
Unter seinem Pulli trägt Herr Seidel kein Hemd, um den Hals hat er ein grün getupftes Tuch. Im Vorübergehen kneift er mich in die Wange: »Na du, schönes Fräulein?«
Er verbessert im Salon Papas Aussprache, sie üben zusammen die Bühnensprache und nehmen Papas Stimme auf Tonband auf. Ich darf nicht mit hinein. Aber ich höre trotzdem alles.
»Seltsam im Nebel zu wannern – einsam ist jeder Busch und Stein – kein Mensch kennt den annern – jeder ist allein …«
Herr Seidel unterbricht Papa schon das zweite Mal. »Man spürt die Einsamkeit zu weenich heraus! Lass dem Ungesagten mehr Raum!«
Nachdem sie fertig sind, nimmt Mama mit ihnen einen Schlummertrunk. »Sprechen macht durstich«, Herr Seidel leert seinen Cognac in einem Schluck. Ich darf vor dem Zubettgehen ins Mikrophon singen.
»S Wallis het rächt herti Lit, aber fiinri gits gar nit …«
Herr Seidel lächelt, als ihm Papa das ins Hochdeutsche übersetzt, wieder kneift er mich in die Wange. »Sei lieber sensibel als hart«, sagt er.
Wie nun auch die Brüder im Pyjama in den Salon kommen, ruft Mama Tina. Wir sollten längst im Bett sein.
Tina hat mein Bett schon unter dem von Anton hervorgezogen und allen aufgedeckt. Von Italien erzählt sie heute nichts mehr, es ist zu spät. Im Dunkeln streiten Anton und ich uns um das dickere Kissen. Weil er viel höher liegt und sowieso mehr Kraft hat, verliere ich wieder. Schnell wie ein Äffchen klettert Koni immer aus seinem Gitterbett, wenn unsere Kissenschlacht losgeht. Heute hören wir keinen Mucks mehr von ihm.
Jeden Dienstag gehen Mama und Papa nach der Theatervorstellung mit den Schauspielerinnen und Schauspielern in die
Fuchsenhöhle
, aber mit uns kommen sie nach der Messe nur in die
Krone
! Wo wieder der Onkel Linard mit seinen langweiligen Zwillingen auf uns wartet. Über nichts als Fußball können diese Buben reden! Und die Erwachsenen diskutieren über Korea – mit Weißwein dazu … Das kann lange dauern. In der
Fuchsenhöhle
wäre es viel spannender: Menschen, die Theater spielen und Musik machen, die singen oder Bilder malen, reden nämlich am liebsten von sich. Papa hat das gesagt. Dass die einen brotlosen Beruf in Kauf nehmen, beweist, wie sehr sie ihre Sache lieben. Das fasziniert ihn.
»Was wollt ihr einmal werden«, frage ich die Buben.
»Doktor.«
»Beide?«
»Nein, ich will Chirurg werden«, blufft der Größere.
»Das ist auch ein Doktor«, sagt Anton.
»Ja, aber ein spezieller.«
»Zahnarzt ist auch ein spezieller Doktor«, bluffe ich zurück, »und überhaupt, ich finde euren Dialekt furchtbar.«
»Das ist Appenzöllerisch. Zudem reden deine Eltern viel komischer.«
»Sie reden Walliser Mundart, das ist der schönste Dialekt, den es gibt!«
»Warum redest du ihn dann nicht?«
»Weil du mich nicht verstehen würdest.«
»So sag doch mal was.«
»Beschi Botschä reichend im Rottu Botschä und kiendschi dä Bianchini na!«
»So ein Kauderwelsch!«
Der dicke Zwilling weiß einen Reim zum neuen Auto seines Vaters: »Dekawe, das deutsche Wunder, hinten Blech und vorne Plunder.«
Papa hat uns zugehört, er lacht schallend.
Im Auto lacht Papa wieder: »Dass der an der grüsige Bänna Freude hat, ein DKW ! Nun, Geschmack hat Linard schon früher nicht
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