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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Doppel gegen das Ehepaar, mit dem sie in Nizza waren. »Nächstes Mal wollen wir die Partnerinnen tauschen«, sagt der Mann zum Schluss. Nachdem Mama geduscht hat, fährt sie uns nach Hause.
    »Was wollt ihr zum Znacht?« Natürlich Konfitür-Omeletten! Also soll uns Tina unsere Lieblingsomeletten machen, »und spätestens um neun müssen die beiden im Bett sein!« Morgen kann ich mit Mama in die Stadt. Nach den Einkäufen und einem Kaffee holen wir bei Tanti Schmid Konrad ab.
    Bevor wir zu Koni aufbrechen, telefoniert Mama mit Tanta Amanda oder Tanta Isabella. »Wir sind im Tennishaus wie eine große Familie …« Mama blinzelt mir zu, bevor sie der Tanta sagt, für den Tennisball wäre noch ein rassiger Junggeselle zu haben, »sehr kultiviert, obwohl er nur ein Vertreter ist …«
    Kultiviert ist etwas, das Papa gern hat. Er unternimmt mit Onkel Fred lange Spaziergänge, sie reden dann über die Schallplatten, mit denen Onkel Fred zu tun hat. Er versteht von klassischer Musik mehr als Papa. Mama findet Spazieren langweilig, sie spielt mit Onkel Fred lieber Tennis.
    Schade, dass man mir das nicht ansieht: Zum ersten Mal gehe ich alleine einkaufen, hinauf bis zur Hauptstraße und dort in die Bäckerei neben der Post. Für Mama werde ich »bitte ein Päckli Aida« verlangen und für Papa »bitte Stella Filter«. Bei der Straßenkreuzung kommt mir die Frau vom Armenquartier entgegen. Ich kenne sie, weil sie oft zu Papa musste und jedes Mal an der Wohnungs- statt an der Praxistür läutete. Papa hat ihr die Zähne gratis geflickt. Vielleicht umarmt sie mich deshalb jetzt wie eine Tanta und sagt: »Richte deinen lieben Eltern ganz, ganz liebe Grüße aus!« An der Tür zur Bäckerei klebt noch immer das lustige Plakat mit dem aufgemalten, rundum angebissenen Riesenapfel. Ich weiß, was als Reklame darunter steht, Mama hat gelacht und es mir vorgelesen.
    »Nicht wahr, Frau Molet«, erkläre ich der Bäckerin, »an Ihrer Tür steht geschrieben, schlank sein beginnt mit einem Apfel.« »Aha, die Kleine kann schon lesen.« Sie gibt mir kein Bonbon. Auf dem Heimweg höre ich Pferdehufe hinter mir. Es ist der Direktor der
Scintilla
. Wie er an mir vorbeireitet, tue ich, als ob ich ihn nicht kennen würde. Bei unserem Haus steigt er ab … Und da kommt auch schon Mama mit Apérogläsern. Ich warte hinter einem Strauch. Sie unterhalten sich lange. Endlich schwingt er sich wieder aufs Ross. Mama winkt ihm nach, bevor sie ins Haus zurückgeht.
    »Natürlich hat die dir kein Bonbon gegeben, du kannst der kugelrunden Frau Molet so etwas doch nicht sagen!«
    »Warum nicht, sie hat ja das Plakat aufgehängt …«
    »Schazzji, bitte, hör mit dem Gestürm auf, ich habe jetzt keine Zeit, ich sollte längst weg sein.«
    Der Ball des Tennisclubs wird lange dauern. Wir dürfen ins Mamapapabett, weil Tina einen Italienerabend in der
Missione Cattolica
hat. Eine Telefonnummer bekommen wir nicht. Wenn die Eltern tanzen, können wir sie nicht einfach anrufen und sagen, wir haben Angst. »Schließlich seid ihr schon groß!« Mama sieht in ihrem langen glänzenden Kleid wie eine Königin aus, zu Papas Anzug sagt man Smoking. Das tönt wichtig. Zumindest, wenn Mama es ausspricht. Papa hasst Englisch. Wenn Amerikaner reden, sagt er, tönt es, als hätten sie Kartoffeln im Mund. Im Unterwallis redet man französisch und hinter dem Simplon italienisch, das sind Sprachen, die uns näher sind. Mama zieht für den Ball ihren neuen Pelzmantel an. Den alten hat Tina bekommen. Ein Patient hat das Dienstmädchen dann jedoch im Treppenhaus mit Mama verwechselt. Tina soll den Mantel deshalb erst wieder in Italien tragen.
    Beim Frühstück bedauert Mama erneut, dass Onkel Fred am Ball nicht teilgenommen hat.
    »Für so etwas ist der eben viel zu sehr Individualist«, sagt Papa.
    »Was ist ein Individualist?«
    Mama kommt ihm mit der Antwort zuvor
:
»Das ist einer, der nicht gerne in Gesellschaft ist.«
    »Nicht gerne in oberflächlicher Gesellschaft«, korrigiert Papa.
    »Hat Fred etwa gesagt, wir seien oberflächlich?!«
    Mit »wir« meint Mama sich und ihre Schwestern. Wenn man mit sechs Geschwistern aufwächst, sagt man wir, wenn man ich meint – oder so ähnlich. Ich weiß nicht mehr, wie sie mir das erklärt hat. Jedenfalls bin ich froh, nicht noch mehr Geschwister zu haben, sonst würden wir noch mehr streiten, und Mama würde es nicht aushalten mit uns.

III
    Alle sind von unserem neuen Haus begeistert, die Verwandten nennen es Villa. Es ist so

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