Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
Papa?«
Obwohl wir nicht ins Hochamt sind, dauert die Ostermesse länger als an gewöhnlichen Sonntagen. Als sie endlich fertig ist, wartet auf der großen Treppe vor der Kathedrale Onkel Fred auf uns. Die Eltern sagen zwar, »was für ein Zufall!« Aber sie sind gar nicht so überrascht. Zudem hat er eine Märchenplatte unterm Arm. Sie laden ihn zu unserem Osterbraten ein. Leider dürfen wir das Märchen erst nach dem Essen anhören. An der Stelle, wo die Prinzessin den Frosch an die Wand schmeißt, tönt es derart pflotschig, dass es mich schaudert.
»Ich könnte nie ein Tier an die Wand werfen«, versichere ich Anton, der nur halbherzig dabei ist.
»Du tötest doch die Spinnen auch!«
»Das macht Mama, nicht ich, und zudem hast du vor Spinnen noch mehr Angst als ich!«
»Axthase!«, ruft Koni.
Anton schaut mich mit zusammengekniffenen Augen wütend an. »Und du blöde Kuh glaubst ja noch an den Osterhasen, dabei gibt’s den gar nicht!«
Bevor Anton und ich aufeinander einhauen, drängt uns Mama auseinander. »Wenn ihr nicht sofort lieb seid, kommt der Osterhase überhaupt nicht!«
Bei der Nestchensuche im Wald kann Koni auf Onkel Freds Schultern reiten. Sie finden alle drei Nester, bevor ich auch nur eines gefunden habe …
»Das ist gemein!«
Papa zieht mich zur Seite. »Komm, wenn wir uns beeilen, sehen wir den Osterhasen vielleicht noch.«
Kaum bin ich mit Papa ein paar Schritte weg, frage ich ihn, ob das mit dem Osterhasen stimmt.
»Aber sicher!«
»So gibt es ihn wirklich nicht, wie Anton behauptet?«
»Was hat Anton behauptet?«
»Also gibt es ihn nicht, gell Papa …«
»Doch, doch. So wie die Hühner Eier legen können, können die Hasen sie eben verstecken.«
»Und wer malt sie an? Und wer macht die Schoggihasen?«
»Ich erklär dir das später, jetzt müssen wir zurück. Sag Konrad nichts davon, wier wellu dem chliine Botsch der Spaß nit verdäärbe.«
Koni hat unsere drei Nester auf dem Waldboden ausgeleert. Während Mama ihn ablenkt, beeile ich mich, alles wieder sorgfältig hineinzulegen. Den Schoggihasen mit den geschmolzenen Ohren lege ich so in ein Nest, dass man es nicht sieht.
»Ihr könnt zuerst auslesen«, verkünde ich meinen Brüdern.
Es klappt nicht. Sie heben jeden Hasen aus dem Stroh, drehen ihn – und mir bleibt der Geschrumpfte.
»Musst gar kein solches Gesicht machen«, sagt Mama, »wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«
Bevor wir das Licht löschen müssen, gehe ich noch eine Weile ins Bubenzimmer. Sobald Konrad schläft, sage ich zu Anton, er müsse nicht meinen, er sei klüger als ich. »An den Osterhasen habe ich schon lange nicht mehr geglaubt, ich habe nur so getan, als ob!«
Die Sache mit der Liebe des Lebens
Gegen Frau Blaser hin hat unser Tannenzaun eine Lücke. Dort schaut die alte Frau gerne durch, wenn sie in ihren Gemüsebeeten steht. Gestern hat sie Mama angerufen, weil ich mit ein paar Mädchen Kleiderausziehen gespielt habe. Ich wurde zwar gescholten, aber so richtig böse waren die Eltern nicht. »Die Blaser isch äbu en tipischi Üsserschwizeri«, neugierige Nachbarn finden sie widerlich. Vors Guckloch kommen jetzt Sträucher. Auch neben der Teppichstange wollen wir Sträucher setzen, Himbeersträucher. Papa sind Himbeeren etwas vom Liebsten, mit Zucker und flüssigem Rahm.
Wenn der Gärtner schon kommen muss, könnten wir anstelle des Weihers doch gleich ein richtiges Bassin machen lassen, »bitte Papa. Bitte!«
Aber Papa hat für unseren Wunsch kein Gehör. »Man kann im Leben nicht immer alles haben, was man haben will.« Seine Antwort ist immer dieselbe.
Kaum dämmert es, schalten wir auf der Terrasse das Licht an und stellen uns mit alten Tennisschlägern so davor auf, dass wir die heranfliegenden Maikäfer abknallen können. Als uns Papa entdeckt, verbietet er uns das, und mit Mama schimpft er, dass sie so einer Idiotie zusehe.
Die toten Käfer der gestrigen Ausbeute stinken fürchterlich, wir beschweren die Biskuitschachtel deshalb mit einem Stein. Morgen wird Mama mit uns in den Wald kommen.
Die Maikäfer müssen beim Schütteln noch schlafen, deshalb weckt uns Tina sehr früh. In unserem Birchiquartier ist außer uns noch keiner auf den Beinen. Kaum sind wir in den Waldweg gebogen, zeigt Anton auf einen kleinen Laubbaum, »kommt, mit dem fangen wir an!« Er zieht die Kapuze seiner Windjacke hoch, lässt sich von Mama helfen – und ist schon oben. Wie schwarze Hagelkörner prasseln die Käfer herab. Die
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