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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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unterdessen ab.
    »Trocknen kann das Geschirr von alleine, komm wieder zu uns, s git feini Schoggoladjini!«
    Großmama zieht mich zurück ins Esszimmer. Bevor die Karten neu ausgeteilt werden, holt sie aus dem Büffet im Salon die Schokoladenschachtel. Unterdessen hält mir Tanta Amanda das Titelblatt einer Illustrierten hin: »Da, schau, das …«
    »… ist die neue Königin von England«, sage ich stolz, »Mama hat mir Fotos von der Krönung gezeigt.«
    »Ja, aber nun schau sie dir genau an: Was haben sie und ich gemeinsam«, fragt Tanta Amanda.
    Bevor ich sagen kann, »sie gleicht dir«, hat Tanta Isabella schon geantwortet: »Du spielst auch gerne die Regentin!«
    »Und du bist eine Giftspritze!«
    »Nun hört schon auf«, mahnt Großmama, und Mama beginnt sofort von Papas neuem Apparat zu erzählen. Sie selbst ist Papas erste Lachgaspatientin gewesen. »Eine fantastische Erfindung, da spürst du überhaupt nichts mehr.«
    Tanta Isabella schaudert es trotzdem, sie hat vor jedem Zahnarzt Angst, »auch wenn er mein Schwager ist.«
    Im Auto belehrt Mama mich, der Respekt verbiete es einem Kind, eine Tanta »Angsthase« zu nennen.
    »Aber Tanta Bella ist doch ein Angsthase, oder?«
    »Deswegen sagt man das noch lange keinem einfach ins Gesicht.«
    Koni hat es aufgeschnappt. Bis er bei Schönbühl einnickt, plappert er pausenlos vom »Axthasen«.
    »Mama, was ist eine Giftspritze?«
    »Ach, das musst du nicht ernst nehmen, das war nicht ernst gemeint.«
    »Aber was wäre es, wenn es ernst gemeint gewesen wäre?«
    »Fa jez bitte nit wider afa tschtirme!«
    Erste große Tropfen schlagen an die Scheibe. Mama schaltet die Wischer an und neigt sich zum Steuerrad, um in der Nacht besser zu sehen.
    Ganz Paris träumt von der Liebe

    »Das ist die Valente, Caterina Valente«, sagt Mama, »kannst das Radio etwas lauter machen.«
    Der Stuhl ist zu niedrig. Das Praxisfräulein tritt aufs Pedal, »so, jetzt ist er richtig«. Sie klipst mir die Papierserviette um den Hals, wirft eine Tablette ins Wasserglas, »musst den Mund noch nicht öffnen!«, lächelt mir aufmunternd zu und legt auf dem Tischchen die Instrumente zurecht.
    »Hast du vorher auch die Zähne geputzt«, fragt Papa beim Eintreten gut gelaunt. Ich habe ihn moorz gern, wenn er ganz weiß gekleidet und Zahnarzt ist. In der Praxis spricht er nie laut, er schimpft nie, erklärt mir immer alles und will nur, dass es weniger wehtut. Papa wendet jeweils einen Trick an: Während er spritzt, zwickt er mich mit der freien Hand in die Lippe; so werde ich von der Nadel abgelenkt, sagt er. »Aber heute wird es auch ohne Spritze nicht weh tun, gell Papa?« »Versprochen!«
    Papa stülpt mir vorsichtig etwas Schwarzes über die Nase, »geht’s? Und jetzt ruhig und tief einatmen – und schön z Mül üff!«
    Aus der Ferne höre ich ein lautes Summen. Die runde Lampe über mir dreht sich, sie wird eine Frau mit einem weiten Rock. Rasend schnell tanzt sie ringsum. Mein Kopf dreht sich mit ihr – bis Papas Gesicht vor mir riesengroß wird und sagt, »alles ist schon vorbei.« Mit der Zunge taste ich dorthin, wo vorher das Loch gewesen ist.
    »Papi, hier ist es ein bisschen rau.«
    »Klar, jetzt kommt noch die Feinarbeit, aber das spürst du nicht.«
    »Habe ich eigentlich gelacht?«
    »Äch wa.«
    »Weshalb sagt man dann Lachgas?«
    »Weil man es auch im Zirkus zur Belustigung der Leute eingesetzt hat.«
    »Wirklich? Wie ist denn …«
    »Du, ich muss jetzt vorwärts machen, im Wartezimmer sind zwei neue Patienten.«
    Das Wetter ist so gut, dass Mama und Papa noch im Spätherbst Tennis spielen. Mama will kantonale Meisterin werden. Obwohl sie ungern vor fremden Zuschauern spielt, haben wir schon viele Preise daheim. Auch ihre
Omega
hat sie vom Tennis, das Armband ist aus echtem Krokodilleder. Mama findet, ihr Stil sei nicht elegant und ihre Oberschenkel seien zu dick. Aber Papa sagt, das mache nichts, dafür sei sie eine Kämpferin. Hoffentlich bekomme ich nicht Mamas Beine, wo ich doch schon zu große Füße habe!
    Im Geräteschuppen hinterm Klubhaus finden Anton und ich alte Schläger und Bälle. Damit machen wir einen Match. Es langweilt uns bald, also lesen wir bei den Eltern halt Bälle auf. Falls Papa gewinnt, erhalten wir ein Micky Maus-Heft. »Oder ein
Fix und Foxi
, wenn ich gewinne!«, ruft Mama fröhlich. Sie hat Papa gerade mit einem Stoppball über den Platz gehetzt. Ärgerlich haut er seinen Schläger aufs Netz. Gegen Abend gewinnen die Eltern haushoch ein

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