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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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sie danach zum Essen kommen, soll ich gleich Onkel sagen zu ihm, rät Großmama, »der hat sicher nichts dagegen«. Dann sagt sie noch, was ich längst weiß, »en sehr simpatischä Tip üsera güete Famili!«
    »Aber der Mann von Tanta Maja ist nicht aus guten Verhältnissen, gell?«
    Großmama macht einen tiefen Atemzug.
    »Mama hat mir erzählt, Tanta Majas Mann sei geschieden, und du seist deshalb nicht einmal zur Hochzeit gegangen.«
    »Ist ja auch keine richtige Hochzeit gewesen.«
    »Nicht wahr, Tanta Maja ist exkommuniziert?«
    »Ja«, sagt Großmama. Ihre schmal gewordenen Lippen befehlen mir, von etwas anderem zu reden. Aber ich will es wissen: »Wie ist das, wenn man exkommuniziert ist?«
    »Das verstehst du noch nicht.«
    »Erklärst du mir dafür, wie das mit dem Kinder-Bekommen geht?«
    »Wenn du größer bist!«
    »Das sagen Mama und Papa auch immer!«
    »Meine Liebe, du wirst diese Dinge noch früh genug erfahren!«
    Der neue Onkel ist picobello. Schade bloß, dass ihm sein rechtes Ohr so absteht. Stünden beide Ohren ab, würde es vielleicht weniger auffallen. Ich gebe mir Mühe, nicht dauernd hinzuschauen. Tanta Bella erzählt Großmama und mir den Film und schwärmt dabei von einem Bogart, bis Onkel Gaudenz sie unterbricht: »Schau mir in die Augen, Kleines! Gefällt dir der Humphrey Bogart wirklich besser als dein Gaudenz?« »Genug jetzt«, sagt Großmama. Sie mischt die Karten.
    »Wer mit wem?«
    Ich soll Onkel Gaudenz’ Jasspartnerin sein. Er sei auch mal ein Anfänger gewesen, meint er aufmunternd. In seinem gemütlichen Berndeutsch tönt es sogar nett, wenn er mich korrigiert. Unsere Gegner verlieren das erste – und gleich das zweite Spiel. Obwohl sich Großmama nichts anmerken lassen will, sehe ich, wie sehr sie das ärgert.
    »So, meine Lieben, jetzt sollten wir aber ins Bett!«
    Trotz Großmamas Aufruf macht der Besucher keine Anstalten zu gehen. Nachdem wir uns von den beiden verabschiedet haben, wendet sich Großmama unterm Türrahmen wieder um. »Let d Salonporta offni!«
    Großmama sagt ihnen das fast ein bisschen barsch.
    Die Sache mit den Kindern wage ich im Religionsunterricht nicht zu fragen, hingegen will ich wissen, weshalb wir Katholiken keine Geschiedenen und keine Reformierten heiraten dürfen.
    »Die Geschiedenen haben eine Todsünde begangen, und die Reformierten glauben nicht dasselbe wie wir«, erklärt der Pfarrer, »es sind Abtrünnige.«
    »Und was heißt Abtrünnige?«
    »Das heißt, dass du jetzt mit der Fragerei aufhören und weiterarbeiten sollst, und schreib gefälligst Er groß, wenn von Gott die Rede ist!«
Mama fährt mit einem Mann davon
    »Wenn du einen guten Kontakt zu Betty pflegst, fühlst du dich nächstes Mal im Schullager weniger allein«, versichert mir Mama. Zudem habe dieses Mädchen als Diplomatentocher ein gewisses Niveau. Für den Spielnachmittag bei Betty gibt sie mir ein Päckli Petitbeurres und eine Frigorschokolade mit. Sie versichert sich, dass ich den Radweg nach Biberist genau kenne und weiß, wo ich durchfahren muss.
    Als ich ankomme, steht Betty schon am Gartentor. Ein Journalist ist bei Bettys Vater, da dürfen wir nicht stören. Wir gehen außen herum direkt in den Keller.
    »Falls Daddy versetzt wird, fliegen wir übernächstes Jahr vielleicht wieder nach Amerika …«
    »Bist du denn schon mal in Amerika gewesen?«
    Sie nickt.
    »Und in einem Flugzeug?«
    »Klar. Ich bin in Oklahoma auf die Welt gekommen. Weißt du, wo das ist?«
    »Nein.«
    »Weißt du wenigstens, wo der höchste Turm steht, den es gibt?« Erwartungsvoll schaut sie mich an, während sie, ohne zu fragen, die Frigorschoggi öffnet. »Eben, in Oklahoma, vierhundertachtzig Meter ist der hoch.«
    »Und du, weißt du denn, wo der längste Tunnel ist?«
    Sie hat keine Ahnung.
    »Im Wallis, der Simplontunnel.«
    »Ist ja auch leicht für dich, du bist schließlich von dort.«
    »Woher weißt du das?«
    »Deine Eltern haben dich doch im Ferienlager in Äschi besucht. Da hab ich ihre komische Mundart gehört. Eine entfernte Kusine von mir redet auch Walliserdeutsch. Mein Daddy sagt, die Walliser seien alle sehr katholisch und ebenso konservativ.«
    Betty öffnet eine Holztür. »Das ist unsere Sauna, komm, zieh dich aus, wir schwitzen ein bisschen.«
    »Hier drin ist es ja gar nicht heiß.«
    »Macht nichts, wir tun einfach, als ob … Los, zieh dich aus!« Sie will, dass ich alles ablege. Aber die Unterhose behalte ich an. Ich soll mich auf die mittlere Pritsche legen. Sie

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