Das Leben der Wünsche
flüchtigen Winken, fasste das Ruder und stieß sich ab.
Jetzt, wo er selbst das Ruder führte, bemerkte er, dass es keinerlei Strömung gab. Das Wasser stand still.
Er ruderte heimwärts. Andere Boote kamen ihm entgegen. In allen saß ein Passagier zwischen Männern in Regenmänteln. Er vermied jeden Kontakt mit ihnen und ignorierte ihre Blicke. Getrieben vom Wunsch, rasch heimzukommen, holte er kräftig aus.
Als er endlich seinen Wohnblock erreichte, quälten ihn Krämpfe in den Armen. Hier war das Wasser bereits gesunken. Wie die Autodächer kamen auch die Müllcontainer zum Vorschein. Jonas musste sich strecken, um das Fenster, durch das er zuvor geklettert war, zu erreichen und sich hochzuziehen. Er war so erschöpft, dass er im Treppenhaus zu Boden fiel und sich minutenlang nicht aufsetzen konnte. Er schnappte nach Luft, aus allen Poren trat ihm der Schweiß, er hatte Kopfschmerzen. Irgendwo unter ihm plätscherte das Wasser.
In der Wohnung packte er seine Bettdecke und legte sich zwischen Tom und Chris auf den Boden. Dem Rhythmus ihrer Atemzüge lauschend, starrte er in die Dunkelheit. Im letzten Moment, ehe er in den Schlaf glitt, fiel ihm ein, dass der Wecker nebenan stand, aber dann schluckte der Haken die Spinne, die Türen flogen fort, und alle Nähte waren weit, weit unter ihm.
10
Während Lea Milch wärmte, klebten die Jungen mit den Nasen am Fenster und beobachteten die Feuerwehr beim Auspumpen der Keller. Bis auf ein paar große Pfützen war das Wasser auf der Straße weg. Jonas hätte gern mit Werner geredet, sich überhaupt mit jemandem über das Ereignis unterhalten, aber es gab noch immer keinen Empfang. Er ging nach unten, um den Schaden am Auto zu begutachten. Er rieb sich die Arme, er hatte Muskelkater, der Rücken tat ihm besonders weh.
Als er die Fahrertür öffnete, schwappte Wasser über die Fußleiste nach draußen. Fluchend machte Jonas einen Satz rückwärts. Dass er das Auto gerade erst aus der Werkstatt geholt hatte, ärgerte ihn zusätzlich.
Ich b-bringe d-das f-für d-dich in O-ordnung!
Joey! Was schleichst du dich so heran?
Ich h-habe m-mich doch gar n-nicht herang-g-geschlichen!
Schon gut, Joey, war nicht so gemeint.
W-wirklich! Ich bringe d-das für dich in O-ordnung!
Würdest du das machen? Hast du nichts anderes zu tun?
Nein. Ich habe ja k-kein Auto.
Stimmt allerdings, sagte Jonas.
Können wir wieder mal gemeinsam L-L-lamm essen? Ich m-mag L-lamm! Du hast es g-gemacht. Es war g-g-gut! Gut!
Klar, Joey. Ganz wie du möchtest.
Ein Taxi zu kriegen war schwieriger, als Jonas angenommen hatte, denn anrufen konnte er nicht, und auf der Straße warteten allerorts Trauben von winkenden Menschen. Hatte er ein Taxi erspäht, wurde es schon lange bevor es bei ihm vorbeikam, von jemand anderem aufgehalten. Nachdem er es eine halbe Stunde vergeblich versucht hatte, holte er Tom und Chris, stellte sich mit ihnen auf die Fahrbahn und hieß sie winken. Nach einer Weile erbarmte sich ihrer ein älterer Fahrer mit müden gelben Augen.
Während Tom und Chris im Fond einander lauthals auf die Sensationen hinwiesen, die die Straßen boten, drehte Jonas auf dem Beifahrersitz am Sendersuchknopf des Radios. Die Überschwemmung kam in den Nachrichten nur am Rande vor. Ein Damm war gebrochen und der Bruch erst spät bemerkt worden.
Ts! machte Jonas. Was sagen Sie dazu?
Nichts, sagte der Fahrer und spuckte aus dem Fenster.
Kopfschüttelnd betrachtete Jonas das Geschehen auf den Straßen. Rechts und links schöpften Menschen mit Eimern Wasser aus ihren Autos. Alle hundert Meter leuchtete das Warnlicht eines Abschleppwagens. An den Kreuzungen hielten hintereinander Fahrzeuge vom Autofahrerklub. Im Taxi selbst roch es scharf nach Reinigungsmittel.
Gewöhnlich vermied Jonas jede Unterhaltung mit Taxifahrern, aber nun fühlte er angesichts des unerhörten Ereignisses den Drang, sich mit jemandem darüber auszutauschen. So fragte er wieder:
Was meinen denn Sie, wie das passieren konnte? Ein Dammbruch? Weiß man, wie sie das Wasser so schnell losgeworden sind?
Die Verwaltung! schrie der Fahrer. Die Verwaltung kann nichts! Wir bezahlen diese Leute, und was rauskommt, sieht man! Was die können, sieht man!
Jonas drehte wieder am Sendersuchknopf.
Im Kindergarten wurde geschrubbt. Besorgt fragte Jonas, ob er Tom und Chris überhaupt dalassen konnte oder ob es einen Renovierungstag gab.
Renovierungstag stimmt, Kinder bitte trotzdem dalassen, sagte die Erzieherin. Wir räumen alle
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