Das Leben der Wünsche
kennenlernten, Anne begleitete sie, sie stand wortkarg vor den Ställen im Schlamm und schien teilnahmslos zu beobachten, wie ihre Schuhe versanken. Er fuhr mit den Kindern an einen Bergsee und nahm Nina mit, die drei badeten, und Jonas lag in der Sonne. Er machte einen Erste-Hilfe-Schnellkurs, um in einem Notfall nicht ratlos neben einem verblutenden Opfer auf einen Arzt warten zu müssen. Mit Siad ging er zu einem Rockkonzert. Er setzte sich einen Nachmittag lang hin und übte seine eigene Unterschrift, sie kam ihm seltsam vor. Die Worte und Zeichen waren ihm unvertraut, sie konnten dieses und jenes bedeuten. Er buchte einen Kurzurlaub für sichallein. Er traf Marie im Hotel. Sein Geburtstagsgeschenk war eine Tätowierung auf ihrem Schamhügel: I love Jonas forever . Bist du wahnsinnig geworden? fragte er. Wäre mir nicht aufgefallen, sagte sie. Ist das Henna? fragte er. Nein, das ist echt, sagte sie, es bleibt für immer und ewig. Apok wird es sehen, sagte er. Er leckt mich ja nie, sagte sie. Er wird es trotzdem sehen! sagte er. Wir haben nur im Dunkeln Sex, sagte sie, und ich ziehe mich immer im Bad um. Was ist im Schwimmbad, fragte er, was am Meer? Ich ziehe mich nie vor ihm um, sagte sie. Es ist ein Risiko, aber ich wollte es eingehen. Du bist total verrückt, sagte er. Sie schliefen miteinander, drei Mal. Er hielt sie in den Armen, schaute sie lange an und sagte: Ich liebe diese Augen. Sie sagte: Und ich deine. Gib mir Zeit. Sascha. Ich weiß nicht, was ich machen soll.
12
Als er aufwachte, war seine Nase zugeschwollen. Ihn überkam ein Hustenanfall. Seine Kehle brannte, er rang nach Luft und rieb sich die tränenden Augen. Zitternd und hustend schrieb er Marie eine SMS. Guten flug, schrieb sie zurück. Wie gern würde ich mit dir fliegen . Er antwortete: Im Dienst? Sie: Lieber auf dem sitz neben dir . Schade, dass ich heute freihabe. Wir hätten uns sehen können. Er: O ja.
Er hatte neununddreißig Grad Fieber. Er schleppte sich ins Kinderzimmer. Tom und Chris lagen nicht in ihren Betten. Er sah im Bad nach, in der Toilette, fand sie im Wohnzimmer. In erwachsener Haltung bequem ausgestreckt, lagen sie auf der Couch. Leise lief der Fernseher.
Was macht ihr denn da?
Ohne rechte Anteilnahme wünschten sie Guten Morgen, den Blick nicht vom Fernseher abwendend, in dem eine Teenagerromanze lief. Schon wollte Jonas sich anziehen gehen, da bemerkte er den gedeckten Tisch. Auf einem Teller lag eine halb gegessene Scheibe Toast, mit Marmelade bestrichen, daneben stand eine Schüssel mit einem Rest Milch, in der noch ein paar Cornflakes schwammen. Beide Jungen hatten eine Tasse Kakao.
Wer hat euch das gemacht?
Was? fragte Tom.
Das Frühstück! Wer hat euch Frühstück gemacht?
Wir! sagte Tom.
In der Küche stand der Topf, in dem die Milch gewärmt worden war, auf dem Herd. Sonst war alles sauber gewischt und weggeräumt.
Ich frage jetzt noch einmal: Wer hat euch Frühstück gemacht?
Wir! sagte Tom, und Chris nickte. Sie sahen ihn kaum an. Auf dem Bildschirm sträubte sich ein junges Mädchen gegen einen Kuss.
Jonas kontrollierte die Eingangstür. Der Riegel war vorgeschoben.
Auf dem Weg zum Flughafen bekam er kaum noch Luft. Die Erkältung hatte er sich im Schwimmbad geholt, zu dessen Besuch ihn Werner überredet hatte, und sie war eine der scheußlichsten seit Langem. Er konnte kaum den Kopf drehen, seine Brust fühlte sich wund an, seine Stirn war heiß und feucht. In so einem Zustand würde der Flug keinen Spaß machen. Aber wegen einer Erkältung wollte er die Urlaubsreise nicht stornieren.
Im Flughafenzug träumte er vor sich hin. Die hagere Frau in Uniform, die die Tickets kontrollierte, lächelte er leer an, bis er verstand, was sie von ihm wollte. Er telefonierte mit Anne, um sich noch einmal zu vergewissern, dass sie Tom und Chris im Kindergarten abholen und eine Stunde betreuen würde, bis Lea kam. Mach dir keine Gedanken, sagte Anne, alles wird klappen.
Er malte sich die Begegnung aus. Hier ein Erwachsener mit Krebs. Da zwei Kinder. Die Kinder finden es heraus. Der Erwachsene spricht offen. Was denkt er sich? Ich vergehe, ich werde vielleicht bald nicht mehr sein, und diese Kinder sehen das Vergehen, sie werden noch in fünfzig Jahren an den Vergehenden von damals denken,der ich war? Mein Bewusstsein erlischt vielleicht bald. Diese und andere Gedanken können nicht mehr gedacht werden. Dunkelheit? Was denken die Kinder? Die Frau wird vielleicht sterben, was bedeutet das, wohin verschwinden
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