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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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zusammen auf, das ist ein großes Abenteuer!
     
    Nicht einmal die halbe Belegschaft saß an ihren Plätzen, doch das Wasser schien nicht Thema einer allgemeinen Unterhaltung zu sein. Jonas hatte auch nichts anderes erwartet, hier gab sich niemand die Blöße, etwas wichtig zu finden.
    Nina winkte ihm zu. Er sah ihre braunen Schenkel unter dem Rock, dann bog er um die Ecke zu Werners Büro.
    Was sagst du dazu?
    Werner sah kaum auf.
    Nichts. Was soll ich dazu sagen? So etwas passiert eben.
    So etwas passiert eben?
    So ist es. Übrigens, hast du nachgedacht?
    Was?
    Werner, Evie, Jonas. Wenn man es so ausspricht, klingt es fast wie ein Theaterstück. Das soll es aber hoffentlich nicht werden.
    Was?
    Du verstehst mich schon. Hast du nachgedacht?
    Ich will das nicht, hörst du! Mir fehlt Helen! Mir istnicht nach dieser Form von Aufregung, jedenfalls derzeit nicht!
    Ein vorbeigehender Kollege schoss eine Schüssel mit Pudding ins Zimmer, die das dick durchgestrichene Che-Guevara-Bild an der Wand traf und zerschellte. Werner rief ihm eine Unflätigkeit hinterher.
    War das Giovanni? Hast du gesehen, wer das war? Oder der Mehlkopf? Steh nicht so da, hilf mir lieber! Sag schon, was los ist! Warum willst du nicht?
    Werner, ich kann das nicht tun. Ich habe es dir erklärt.
    Gefällt dir Evie nicht?
    Ob sie mir gefällt oder nicht, spielt keine Rolle! Ich kann das nicht tun! Mir ist einfach nicht danach, bitte sieh das doch ein.
     
    Vor der Tür stand Severins Assistentin, die lächelnde Frau mit den starren blauen Augen, als hätte sie auf ihn gewartet. Jonas grüßte sie und wollte weitergehen, da streckte sie den Arm aus. Erst nach einigen Sekunden begriff er, dass sie ihm etwas geben wollte. Sie ließ ein Kärtchen in seine Hand gleiten, schaute ihn eindringlich an und ging davon. Er las: Maura Lyfers – Assistentin Text . Mit der Hand hatte sie ihre Mobilnummer dazugeschrieben.

11
    Die Sache mit dem Wasser blieb seltsam. Ein Damm oberhalb der Stadt war gebrochen, und der teure neue Hochwasserüberlauf hatte zu spät funktioniert, aber Jonas wurde das Gefühl nicht los, nur die halbe Wahrheit zu erfahren. Er brachte Lea nach Hause, er dankte ihr für alles, doch nun sei er so weit, allein zurechtzukommen. Dadurch wurde es nicht unbedingt einfacher. Die Jungen wollten unterhalten werden. Er besuchte mit ihnen Kindertheater, jagte Springbälle durch den Park, suchte im Wald Pilze, die sie gemeinsam kochten, ab und zu trank er einen Schluck Wein und schrieb Marie eine SMS. Er lud Joey zum Essen ein, er wählte ein Lokal, in dem er nie zuvor gewesen war und in das er auch so schnell nicht wieder gehen würde, denn Joey streichelte die Blumen und weinte. Beim Nachtisch legte er Jonas ein Päckchen neben den Teller. Ein Geschenk? fragte Jonas. F-f-f-für dich, sagte Joey, w-weil du mein bester F-f-freund b-bist. Jonas wickelte es aus, es war ein von Hand bemalter Stein. Selbst gesammelt, a-also ist es ein G-g-glücks-s-stein. Jonas lud eine lethargische Nachbarin, die ebenfalls allein mit zwei Söhnen lebte, zu sich nach Hause ein, und während die Kinder durch alle Zimmer tobten, trank er mit ihr Tee und suchte verzweifelt nach einem Thema, über das er mit ihr reden konnte, ohne das Gefühl zu haben, sie rütteln zu müssen. Sie war reizlos und sah zu viel fern, doch Jonas hielt durch, weil die Jungen so selbstvergessendie Wohnung auf den Kopf stellten, mit einem Feuer, wie er es an ihnen eine Weile nicht erlebt hatte. Er rief Irina an, manchmal sehr kurzfristig, und machte Ausflüge. Zwei oder drei Stunden wanderte er über Felder, sah den Bauern in ihren Traktoren zu, fragte sich, was in seinem Leben passierte, wann es begonnen hatte, ihm Stück für Stück zu entgleiten. Er gab Hektors Neffen drei Nachhilfestunden in Mathematik, die der Onkel mit einem gemeinsamen Besuch des Whiskyklubs beglich. Er räumte innerhalb von drei Tagen die meisten Sachen Helens in das kleine Arbeitszimmer, das er fortan nur noch betreten wollte, wenn es unbedingt nötig war. Er ging bis zwei Uhr früh mit Nina aus. Er fand es lustig, mit ihr in einer mondänen Bar Cocktails zu probieren, ihr in den Ausschnitt zu schauen und mit ihr heftig über ein Gesellschaftsthema zu debattieren, das ihn in Wahrheit langweilte. Oder ihr in einer Disco beim Tanzen zuzusehen, während er selbst schon keuchend und schwitzend an der Bar Pause machte, sein Handy kontrollierte und eine Runde bestellte. Er fuhr mit den Kindern aufs Land, damit sie einen Bauernhof

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