Das Leben der Wünsche
Farben trägt, der wird alt und reich und glücklich. Ich kann nicht fassen, dass du das aufschreibst.
Es gibt eine Zeitmaschine, sagte sie. Du darfst drei Reisen antreten. Jede dauert drei Tage. Wohin fährst du?
Die erste: San Francisco 1968. Die zweite: Braunau am Inn 1889. Die dritte: Jerusalem 27.
Wieso die drei?
Spaß, Pflicht, Interesse.
Welche Pflicht?
Na, das Kindlein am Älterwerden hindern.
Was bedeutet Zufall?
Zufall ist alles, sagte er, wie berauscht von der Schnelligkeit und Deutlichkeit, mit der seine Gedanken kamen. Dass sich Lennon und McCartney getroffen haben, war Zufall. Dass Jagger und Richards gemeinsam in der Sandkiste gespielt haben, war Zufall. Wer weiß, wie viele große Talente knapp dran waren, sich aber gegenseitig um einen Wimpernschlag verpasst haben, denjenigen nicht getroffen haben, den sie gebraucht hätten, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Und jetzt arbeiten sie an der Tankstelle –
Ich komme nicht mehr mit, sagte Nina, die Stichworte müssen reichen. Was war mit der Tankstelle?
Irgendwo auf der Welt schläft gerade eine Frau mit ihrem Mann, die meine Frau geworden wäre, hätte ich am dritten Juli vor acht Jahren abends meine Hemden in die Reinigung gebracht, anstatt es auf den nächsten Tag zu verschieben.
Glaubst du? fragte Nina.
Im konkreten Fall nicht. In meinem Fall nicht, grundsätzlich schon. Irgendwo schläft ein Mann mit einer Frau, der dein Mann geworden wäre … und so weiter. Was mich anbelangt, so hatte ich das Unglück, eine bestimmte Person nicht früher kennengelernt zu haben. Ehe wir beide entschieden haben, uns mit anderen zu vermehren. Das musst du nun aber wirklich nicht aufschreiben.
Gespräche mit Jonas. Wäre doch ein guter Buchtitel.
Ein Renner. Warum stehst du auf?
Wo ist die Toilette?
Er beschrieb ihr den Weg und warnte sie vor den Taubstummen an der Bar. Über der Tür zischten und flackerten sterbende Insekten im Blaulicht. Er fragte den Kellner, ob man das Gerät nicht abschalten könnte.
Ich weiß, es ist hässlich, sagte der Kellner. Aber der Besitzer will es so.
Auf dem Rückweg blieb Nina an einem freien Tisch stehen und studierte im Schein einer breiten Kerze die Cocktailkarte, obwohl an ihrem Platz auch eine lag. Ihr Kleid war kurz und knapp. Er sah die Konturen ihrer Brüste, sah ihren Bauch, die geraden Beine. Er merkte, wie gestrafft er da saß, die Schultern nach hinten, die Brust nach vorne geschoben.
Noch im Stehen deutete sie mit dem Zeigefinger in seine Richtung.
Hast du ein Weltbild?
Steht das in deinem Block, oder ist dir die Frage beim Betrachten der Toilettenwände eingefallen?
Würdest du sagen, du hast ein klares Weltbild?
Heutzutage gibt es kein Weltbild, es gibt allenfalls Weltbilder. Vielleicht Weltfilme. Die Menschen sagen, die Welt sei kleiner geworden, wovon reden die bitte, das ist ein fundamentaler Irrtum, sie ist viel, viel größer geworden! Und wächst weiter!
Er sah, dass Ninas Glas noch voll war, schenkte nur sich aus der Karaffe ein und schüttete den Wein in einem Zug hinunter.
Glaubst du an Gott?
Es ist nicht so, dass ich nicht an Gott glaube, sagte er. Ich glaube bloß den Menschen nicht.
Was heißt das?
Ich glaube, dass wir in einer Art Computersimulation leben. Zumindest gefällt mir der Gedanke. Nein, er gefällt mir überhaupt nicht, aber ich finde ihn bedenkenswert.
Das klingt vielversprechend. Und was heißt das?
Dass unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit möglicherweise falsch sind. Unser Religionsbegriff ist ein Missverständnis, weil er voraussetzt, dass Gott uns ähnlich ist. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube, dass wir Computerchips sind, die nach dem, was wir als Tod bezeichnen, in ein Regal gelegt und bei Bedarf hervorgeholt werden, damit sich wer auch immer den Film unseres Lebens ansehen kann. Aber im Grunde ist es egal, ob da draußen Gott sitzt oder ein Programmierer. Höchstens fragt man sich, wer die Programmierer programmiert hat.
Wie meinst du das mit den Filmen?
Was sehen wir heute an? Afrikanischer Drogendealer in Europa. Schnelldurchlauf. Kindheit in Kano, sieben Geschwister, keine Schule. Als Jugendlicher nach Abuja. Erste kleine Betrügereien und Diebstähle. Flucht nach Lagos wegen einer Frau. Von dort auf dem Landweg nach Ceuta. Nach einem Jahr im Elend auf einem Seelenverkäufer nach Spanien, gelangt nach Deutschland, verkauft Drogen, stirbt bei einem Fußballspiel im Obdachlosenmilieu an einem Herzinfarkt. Film ist zu Ende, Chip geht zurück
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