Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
hieß. Alle diese Stellungen aber waren nur durch Empfehlungen zu haben, die häufig von Professoren ausgestellt wurden, weshalb die Kriecherei vor ihnen, die Richter in Leipzig beobachtet hatte, üblich war. Um überleben zu können, haben im 18. Jahrhundert viele bedeutende Männer, wie beispielsweise Herder und Hölderlin, Fichte und Schleiermacher, zeitweilig als Hofmeister tätig sein müssen, haben manchmal unter der dienenden Stellung, die sie dem Gesinde gleichmachte, gelitten, sie manchmal aber auch als Erweiterung ihrer Erfahrung schätzen können oder sie der pädagogischen Erfolge wegen, die sie bei ihren Zöglingen erzielen konnten, begrüßt. Auch an Friedrich Richter gingen die fünfzehn Monate, die er im Herrenhaus von Töpen verbrachte, nicht ohne Gewinn vorbei. Zwar musste er in ständigem Zwist mit dem Gutsherrn leben, aber an seinem gelehrigen Schüler konnte er Freude haben, und er hatte wieder eine Stube zum Lesen und Schreiben für sich allein. Als er aus nichtigem Anlass entlassen wurde, war es mit dem Glanz, den eine Gutsherrschaft in den Augen des Pastorensohns einst gehabt hatte, endgültig vorbei. Die pädagogischen Erfahrungen aber, die er in diesen Monaten gemacht hatte, erwiesen sich bald als wertvoll für ihn.
Nachdem er ein weiteres Jahr bei der Mutter in Hof hatte verbringen müssen, siedelte er für vier Jahre nach Schwarzenbach über, wo er an einer von befreundeten Familien finanzierten Schule wieder als Lehrer tätig war. Sieben bis zehn Kinder unterschiedlichen Alters aus mehreren bürgerlichen Familien hatte er hier zu unterrichten, und da er dabei seine selbst erdachte didaktische Methode, in der es sehr jeanpaulisch zuging, erfolgreich anwenden konnte, erinnerte er sich noch Jahre später gern daran. In seinem 1807 entstandenen Werk »Levana oder Erziehlehre« gedachte er nicht ohne Stolz jener Schwarzenbacher »Winkelschule«, in der er die Schüler nicht nur die alten Sprachen gelehrt hatte, sondern auch besorgt um ihre Allgemeinbildung gewesen war. Um ihren sprachlichen Ausdruck zu schulen und ihnen die Zusammenhänge der Wissenschaften klarzumachen, regte er sie, als wollte er aus ihnen kleine Jean Pauls machen, zur Erfindung witziger Gleichnisse an. Diese wurden von ihm in einem »Schreibbuch, betitelt: Bonmots-Anthologie meiner Eleven« festgehalten, in dem beispielsweise zu lesen war: »Die Luftröhre, die intoleranten Spanier und die Ameisen dulden nichts Fremdes, sondern stoßen es aus Die lutherische Religion und die Rentiere vertragen die Wärme des Südens nicht. In meiner Schule ists wie in einer Quäkerkirche, wo jeder reden darf.« In diesem Zusammenhang kann man in der »Levana« über die Rolle des Lehrers, wie er sie verstand, auch Folgendes lesen: »Sklaverei trübt und verscharrt alle Salzquellen des Witzes; daher Erzieher, die wie schwache Fürsten sich nur durch Zensur und Preßzwang auf ihrem Thron- und Lehrsitze erhalten, vielleicht besser Spaziergänge erwählen, um die Kleinen freizulassen und witzig zu machen. Der Verfasser der Bonmots-Anthologie erlaubte der Schule sogar Einfälle auf (nicht gern) ihn selber.«
Wie an diesen Übungen zu merken, war an der Lehrtätigkeit Richters auch der Autor Richter nicht unbeteiligt, der jede freie Minute, die ihm die Unterrichtsstunden ließen, schreibend zu nutzen verstand. Wenn »seine Lehrstunden, die er gewissenhaft abwartete, vorbei waren« , so konnte sich eine seiner Schülerinnen, die Tochter des Eisenhammerbesitzers Cloeter, später erinnern, »eilte er ins Freie, am liebsten in den Wald, legte sich hier unter den ersten besten Baum, starrte unverwandt Wald und Himmel an, zog dann und wann ein weißes Blatt Papier aus der Tasche, schrieb darauf einzelne Worte und eilte nicht selten gleich nach dem Schreiben fort, um zu Hause Gedanken und Bilder, die er sich dort nur angedeutet hatte, weiter auszuführen«.
Abb.9: Johann Gottfried Cloeter.
Lithographie
Unter all diesem Auf und Ab von Hungern, Lesen und Schreiben war seine Jugend vergangen, und als wollte er das demonstrieren, gab der hagere, blonde, schmalgesichtige Siebenundzwanzigjährige, der so mittellos war, dass er an Heirat nie hatte denken können, es endlich auch auf, mit ungewöhnlichem Äußeren gegen die Umwelt zu protestieren, kleidete sich also fortan wie die Menschen seiner Umgebung und gab das den Freunden im September 1789 brieflich bekannt. »Endes Unterschriebener steht nicht an, bekannt zu machen, dass, da die abgeschnittenen
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