Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
verhütet es nur, dass euer Geist nicht mit eurer Lage verarme, und dann hebet stolz euer Haupt in den Himmel, den ein ängstlicher Nordschein überzieht, dessen ewige Sterne aber durch das nahe blutige Gewitter brechen.«
Für Lenette aber, die dergleichen Reden noch nie gehört hat, ist dieser Stolz unheimlich, sie hält ihn für den Ausdruck von Asozialität oder sogar Blasphemie. Sie ist so lieb wie beschränkt und bescheiden, so anspruchslos wie aber auch unerbittlich, wenn die bürgerliche Reputation auf dem Spiele steht. Als fleißige Hausfrau kann sie den Staub auf den Büchern nicht ertragen, und sie kann nicht begreifen, warum ihr ständiges Putzen den schreibenden Siebenkäs stört. Mehr als die Armut selbst quält sie die Vorstellung, dass in der Nachbarschaft jemand von ihr erfahren könnte. Sie ist die ideale kleinbürgerliche Ehefrau, die nur den falschen Mann gewählt hat. Sie ist so unschuldig an der Ehemisere, dass Siebenkäs auch ihres Glückes wegen seinen Tod inszeniert. Mit ihr ist Jean Paul eine realistische weibliche Gestalt gelungen, die trotz aller auf die Nerven gehenden Hausfrauentugenden nicht nur lebenswahr ist, sondern auch liebenswert bleibt. Die ganz und gar ausgedachte Natalie dagegen bleibt ein Schemen, das mit schwarzen Schleiern und klugen Worten den Geist der Befreiung aus Kuhschnappels Enge verkörpern soll. Wie ein Traumbild schwebt sie durch die Szenerie der Parks und Paläste, ist aber auch unverständlicherweise mit dem Freigeist Leibgeber in Freundschaft verbunden, der für Siebenkäs gleichzeitig Freund, Zwillingsbruder und Vorbild ist.
Leibgeber, neben Lenette die kräftigste Nebengestalt der Geschichte, ist ein Freigeist reinster Prägung, keinem Menschen, keinem Land und keiner Religion verpflichtet, nirgendwo zu Hause als in sich selbst. Sein klarer, kalter Verstand, der es ihm gestattet, die ganze Welt und sich selbst satirisch oder humoristisch zu betrachten, ist in Wahrheit nur der Panzer für seine Seele, die leicht verwundbar und oft der Verzweiflung nahe ist. Sein reales Vorbild in Richters Leben war der früh verstorbene Freund Johann Bernhard Hermann, doch ist in ihm auch eine Seite des Autors verborgen, die andere findet man in Siebenkäs.
Das Satirenwerk, an dem der Armenadvokat arbeitet und darin dauernd durch das Fegen, Wischen, Waschen oder Schwatzen Lenettes gestört wird, heißt »Auswahl aus des Teufels Papieren« und wird in den Jahren 1785 und 1786 geschrieben, in denen auch Jean Pauls gleichnamiges Werk entstand. Siebenkäs und Leibgeber, die zum Zeichen ihrer Freundschaft ihre Namen vertauscht haben, sehen sich täuschend ähnlich und schreiben beide Satiren, sind also die zwei Seelen in der Brust des Autors, der aber daneben auch noch selbst zu Worte kommt. In seiner Jugendkrise, in der ihn die Drohung des Todes quälte, hatte er sich zur Rettung seiner empfindsamen Seele zum Glauben an Gott und die Unsterblichkeit durchgerungen, doch lebte der unterdrückte Teil seines Selbst weiter und feierte in Leibgeber seine Auferstehung. Lenette, die den unheimlichen Freund wie den Teufel fürchtet, sieht in ihm den Widersacher der von Gott gewollten Ordnung, Siebenkäs aber, dem es verwehrt ist, so unbehaust wie der Freund zu leben, bewundert ihn.
Zu den Kuriositäten, die Jean Pauls Leben und Werk begleiten, gehört auch, dass er als Junggeselle einen der ersten und schönsten Eheromane schrieb. Die kleinen und großen Zwistigkeiten zwischen den Eheleuten, die ihrer Lebensechtheit wegen köstliche Lesefreuden bieten, lassen sich als ausgedacht gar nicht vorstellen, und tatsächlich sind die Streitereien über die Haushaltsgeräte, die im Leihhaus landen, oder den störenden Lärm beim Putzen und Waschen von Jean Paul selbst erlebt worden, nämlich mit seiner Mutter in der engen Behausung in Hof. Was wir als Eheroman lesen, war für den Autor selbst also Abrechnung mit der ärmlichsten Zeit seines Lebens, die ihm aber, da ein wenig vom Geist eines Wutz in ihm lebte, durchaus heiter geriet.
Den Ruhmestitel eines Anwalts der Armen, der Jean Paul posthum von Ludwig Börne verliehen wurde, hat Jean Paul sich auch durch die Geschichte des Armenadvokaten verdient. Schuld an dessen bitterer Armut sind die regierenden Reichen, die auch die Klage, die der Advokat gegen sie anstrengt, ignorieren können, so dass am Ende die Armen ärmer und die Reichen reicher geworden sind. Beim Aufsetzen des Testaments kurz vor dem Scheinsterben übt Siebenkäs eine so scharfe
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