Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Mein Herz hat noch die alte Muttersprache für Sie. Solche Festzeiten in der Alltäglichkeit der Menschenzeit bewahre die Seele fest und erquicke sich an einer unvergänglichen Vergangenheit.«
Sie an ihn: »Die Kinder fragen, ob Herr Richter nicht heute mit uns essen würde, weil wir Sauerkraut hätten. Die Rose blüht auch noch. … Ich bin ein sonderbares Wesen. Mit aller Freiheit, mitten in der Fülle des Lebens, mit aller Gewalt über mein eignes Wesen, mächtig über mich selbst nach zerstörendem Schmerz, bin ich mir selbst wert, weil alles in meiner Seele ist und der Zufall und die Lehre und die Meinung anderer mich nicht gebildet hat. Und dennoch sehne ich mich oft nach dem langen Schlaf.«
Er an Christian Otto: »Ich kann dir nicht sagen, mit welcher ernsten Berechnung auf meinen TITAN das Geschick mich durch alle diese Feuerproben in und außer mir, durch Weimar und gewisse Weiber führt. Jetzt kann ich ihn machen den TITAN.«
So unversehrt ging der Autor, dem sich alles Erleben in Stoff für seine Arbeit umformte, aus dieser Seelentragödie heraus. In der Linda des »Titan« wurde diese Liebe verwertet, dann interessierte Charlotte ihn nicht mehr. Bei dem vergeblichen Versuch, aus der Ruine der Liebe noch die Freundschaft zu bergen, verschmähte sie auch den Umweg über von ihm geliebte Frauen nicht. Als Jean Paul sich in Berlin verlobte, akzeptierte sie die Erwählte als Dritte im gar nicht mehr bestehenden Bunde. Jahrelang richtete sie ihre Briefe an das Ehepaar, doch antwortete bald nur noch die Frau. Ohne sich von dem fehlenden Echo beirren zu lassen, las und beurteilte sie jedes neue Buch von ihm. Ihre Augenkrankheit, die auch in den »Titan« mit einging, verschlimmerte sich mit dem rasch einsetzenden Alter, so dass sie zeitweilig völlig erblindete. Ihr Mann, mit dem sie nie richtig zusammengelebt hatte, aber auch nicht von ihm geschieden wurde, erschoss sich, wie später ihr Sohn. Da auch ihr Vermögen verlorenging, lebte sie mit ihrer Tochter Edda zusammen unter ärmlichen Verhältnissen in Berlin, blieb aber immer an allem Neuen in Literatur, Philosophie und Politik interessiert. Ständig war sie mit Plänen beschäftigt, die ihr aus dem Elend heraushelfen sollten. Sie strickte und stickte, handelte mit Stoffen, wollte Mädchenpensionate gründen, versuchte sich in Finanzgeschäften, hoffte, eine Saline billig pachten und industriell ausbeuten zu können, und sie schriftstellerte, aber alles schlug fehl. Als Krankheit sie völlig mittellos machte, ließ die preußische Prinzessin Marianne, bei der ihre Tochter Edda als Hofdame diente, sie mietfrei in einem Zimmer des Berliner Stadtschlosses wohnen, bis sie mit 82 Jahren ihr Leben beendete und auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II. in der Bergmannstraße begraben wurde, wo ihr Grab bis heute erhalten blieb.
Für Jean Pauls Bildung und für seine ersten Schritte in die Welt der Literaten und der Höfe hatte sie eine große Bedeutung, aber danach wurde sie ihm uninteressant. Damit ging es ihr nicht anders als den anderen Frauen, von denen er sich in den Jahren seiner Reisen durch die große Welt gern verehren, aber nicht binden ließ. Denn keine von ihnen war passend für seine Zukunftsträume, die er 1799 in einem seiner seltsamsten Bücher auch der Öffentlichkeit bekannt werden ließ.
In seiner »Konjektural-Biographie« (d.h. etwa: vermutlicher Lebenslauf), die er zusammen mit Satiren und Aufsätzen unter dem Buchtitel »Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf« veröffentlichte, sagt er schon im Vorwort, um was es ihm dabei geht: »Daher hab’ ich – kalt gegen die Engherzigkeit eines erbärmlichen Sprödetuns mit den Mysterien eigner Personalien – es geradezu (ohne meine gewöhnlichen biographischen Fiktionen) in die Welt hinausgemalt, wie mein Leben aussehen werde von diesem Jahre an bis zu meinem letzten« . Und tatsächlich wird dann der Traum seines künftigen Lebens mit den wirklichen Namen seiner Freunde und seiner Heimatorte versehen. Selbstverständlich ist es das Leben eines Schriftstellers, das da erträumt wird, und zwar eines in heimatlicher Enge und in einer Häuslichkeit, der eine dafür geeignete Frau Ordnung und Wärme gibt. Landschaft, Wetter und Jahreszeiten sind immer so, wie die Gemütslagen es erfordern. Damit er nicht vom Schreiben allein leben muss, steht ein kleines Gut mit Personal zur Verfügung. Die Schreibarbeit geht gut voran und wird gewürdigt. Die Enttäuschung, dass er es am Lebensende nicht
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