Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Kritik an den Herrschenden, dass der Notar sich weigert weiterzuschreiben und aus Angst vor den Folgen der staatsfeindlichen Äußerungen aus dem Fenster springt. Dass sie selig werden, und zwar nicht erst im Jenseits, sondern hier schon auf Erden, wünscht der Erzähler den Gerbern und Buchbindern, den Schuhflickern, Strumpfwirkern und Bettlern, die das Haus und die Gasse in Kuhschnappel bevölkern und nicht weniger arm als Siebenkäs und Lenette sind.
Die Kritik reagierte auf den Roman, von einer Ausnahme abgesehen, wohlwollend bis enthusiastisch, die Zensur im katholischen Österreich aber belegte ihn mit einem Verbot. Die eine kritische Ausnahme war der »Kaiserlich privilegierte Reichs-Anzeiger oder Allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behufe der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe im Deutschen Reiche wie auch zur öffentlichen Unterhaltung der Leser über allgemeinnützige Gegenstände aller Art«, in dem ein Anonymus unter dem Titel »Rüge eines Schriftsteller-Frevels« das gesetzwidrige Verhalten des Helden verdammte, weil dieser doch mit seinem Scheintod nicht nur die Witwenkasse betrüge, sondern auch das für die Scheidung zuständige kirchliche Konsistorium um die Scheidungsgebühren prelle, ohne dass der Autor das beanstande. Den Deutschen, deren »Volksruhm vordem die Ehrlichkeit war« , biete dieser Herr Richter hier doch »Schelmenstreiche, die den Pranger verdienen« , und preise sie als »launige Ausgeburten schöner Seelen« an.
Die Titanide
»Z wei Drittel des Frühlings sind vorüber … Die Bäume stehen noch unbelaubt im schönen Park – die Nachtigall hat noch nicht gesungen – und Sie waren noch nicht hier: Alle Zeichen des Frühlings bleiben aus!«
Diese Worte, mit denen Charlotte von Kalb einige Wochen vor Jean Pauls Weimar-Reise einen Brief an ihn begonnen hatte, lassen vermuten, dass sie große Erwartungen in den Autor des »Hesperus« setzte, und wie die vielen Briefe beweisen, mit denen sie ihn während seines dreiwöchigen Aufenthalts in Weimar beglückte, wurden diese auch nicht enttäuscht. Nachdem sie ihn am 13. Juni zum Mittagessen eingeladen hatte, gestand sie ihm am 15. in einem morgendlichen Brief, der mit den Worten »Sie haben doch wohl geschlafen?« beginnt, unter Eifersucht zu leiden, um dann am 17. wie aus Versehen das vertrauliche Du zu gebrauchen und einen Satz zu schreiben, der wohl als Liebeserklärung zu deuten ist: »Eine idealische Schilderung liebt die Seele, einen idealischen Menschen liebt das Herz – und will es, und will es, und will ihn«.
Abb.23: Charlotte von Kalb. Gemälde
von Johann Friedrich August Tischbein
Auch seine Briefe aus diesen drei Wochen, von denen nur Konzepte erhalten blieben, geizten nicht mit liebevollen Worten, verraten aber, wie auch seine Briefe an andere Frauen, mehr Arbeit als Gefühl. So schrieb er Charlotte von Kalb am 18. Juni von seiner Sehnsucht nach ihr, die ihn bei einem nächtlichen Parkspaziergang angeblich befallen hatte: »Wenn es schön ist im drückenden Zimmer jede Empfindung aus dem fremden Auge zu trinken und dann gefüllt an das Angesicht zu sinken, das in der Liebe glänzt: so ist es viel schöner, mitten im dröhnenden Zauberkreise der Natur zwischen Bergen und Strömen und Sternen ans geliebte Herz zu fallen und leise zu sagen: du bist das Universum um mich, und ich gebe deinem nahen Herzen alles, was der Geist um uns in meinem erschafft.«
Da er nach seinem Abschied aus Weimar von Woche zu Woche mehr liebevolle Briefe an Verehrerinnen zu schreiben hatte und eine von diesen sogar in Franzensbad besuchte, blieb ihm für Briefe an die »Unvergessliche« , die »Hochstehende Seele« nur wenig Zeit. Auch wirkte auf ihn erkaltend, dass Charlotte eigne Meinungen geltend machte, es also beim schmeichelhaften Bewundern nicht beließ. Dem »Siebenkäs« glaubte sie die künstlerische Reife absprechen zu müssen, und nachdem Jean Paul ihr die kleine allegorische Erzählung »Die Mondfinsternis« geschickt hatte, griff sie, was ihn mehr erzürnte, seine religiös getönten Moralfundamente an. Dass diese Erzählung, in der die Teufelsschlange des Paradieses als Verführer und der Genius der Religion als Beschützer der weiblichen Keuschheit auftreten, die erfahrene und freisinnige Frau ärgern musste, wird besonders durch die Mutmaßung verständlich, dass ihr auch sein gelebter moralischer Rigorismus nicht gefiel. Sie war empört über dieses »Ködern mit dem Verführen! Ach, ich bitte, verschonen
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