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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter de Bruyn
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Prometheus malen zu können, müsse auch das Foltern von Menschen erlaubt sein, und das ganze Universum verdiene nur unsere Achtung, weil es einem Künstler sitzen kann. Am besten aber ließe sich nach Fraischdörfers Meinung die edle Einfalt der Griechen dadurch erreichen, dass auf Gegenwart und Wirklichkeit völlig verzichtet wird.
    Mit dieser Überspitzung verteidigte Jean Paul seine Eigenart des Erzählens, zu der zwar auch das Erhabene gehörte, aber auch das Komische und Satirische, das Rührende und Humoristische, und vor allem auch die aus der Gegenwart genommenen Stoffe mit den Freuden und Nöten der kleinen Leute. »Sage, was du willst, denn ich schreibe, was ich will!« , entgegnet er dem Kunstrat und wendet sich dem Leben in der Gestalt der schönen Pauline zu, die er noch vor Bayreuth erreicht.

Der Armenadvokat
    Einen Tag vor Jean Pauls Abreise nach Weimar war mit der Berliner Post das Manuskript eines Romans abgegangen, das in seinem Entstehen mehrere Stadien hatte durchlaufen müssen und doch wie alle Werke dieser Jahre relativ schnell entstanden war. Nachdem sich schon einige Satiren und Aufsätze mit dem Motiv von Tod und Auferstehung befasst hatten, war ihm dazu eine Geschichte eingefallen, aus der eine Idylle nach Art des »Wutz«, des »Fixlein« oder des »Jubelseniors« hätte entstehen können, in der aber kein Lehrer oder Pastor die Hauptperson sein sollte, sondern ein nicht weniger hungernder Armenadvokat.
    Da er diesen aber nicht mit der für die Idyllenrolle nötigen Beschränktheit ausstattete, ihn vielmehr zu einem Mann wachen Geistes machte, der, statt sein armseliges Schicksal mit Ergebenheit zu ertragen, es mit List überwindet, wurde daraus eine andere, weniger idyllische und viel ausführlichere Geschichte, ein Novellenstoff eigentlich, der trotz aller bei Jean Paul üblichen Abschweifungen und Einschübe, überschaubar bleibt: Der schriftstellernde Armenadvokat Siebenkäs heiratet die gutherzige, einfältige, kleinbürgerlich denkende Lenette. Bittere Armut und Wesensungleichheit entfremden die beiden einander. Mit Hilfe seines Freundes Leibgeber befreit Siebenkäs seine Frau und sich durch Schein-Sterben von den Ehefesseln. Sie heiratet den von ihr geliebten philiströsen Schulrat Stiefel. Siebenkäs erwartet ein neues Leben an der Seite der ihm wesensverwandten Natalie. In barocker Manier enthält der Titel die ganze Geschichte: »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel«.

Abb.22: Titelblatt der 1. Auflage des »Siebenkäs«
    Die so phantastisch anmutende Geschichte vom scheinbaren Sterben kam in Zeiten, in denen die Ehescheidungen schwergemacht wurden oder gar nicht möglich waren, durchaus manchmal vor. So kann man in Goethes Briefen an Frau von Stein von einer Ehefrau der Weimarer Gesellschaft lesen, die nach ihrem angeblichen Tode mit ihrem Liebhaber das Weite suchte, und Musäus weiß von einem bankrotten Kaufmann in Schlesien zu berichten, der seinen Tod vortäuschte, um die Heirat seiner zur Witwe gewordenen Frau mit einem alten Krösus zu ermöglichen, nach dessen Tode er dann die nun reiche Erbin wieder zur Ehefrau nahm.
    Beim Scheinsterben des Armenadvokaten aber geht es nicht um Geld, sondern um Befreiung, und zwar nicht nur um Befreiung von den Fesseln der Ehe, sondern auch von denen der kleinstädtischen Verhältnisse mit ihren krassen sozialen Unterschieden, die Siebenkäs geistig schon längst vollzogen hat. »Will Gott es haben« , sagt Siebenkäs der jammernden Lenette, »dass ich mit achttausend Löchern im Rocke und ohne Sohlen an Strümpfen und Stiefeln in der Stadt herumziehe … so soll mich der Teufel holen und mit der Quaste seines Schwanzes totpeitschen, wenn ich nicht dazu lache und singe – und wer mich bejammern will, dem sag’ ich ins Gesicht, er ist ein Narr. Beim Himmel! Die Apostel und Diogenes und Epiktet und Sokrates hatten selten einen ganzen Rock am Leibe, ein Hemd gar nicht – und unsereiner soll sich in diesem kleinstädtischen Jahrhundert nur ein graues Haar darüber wachsen lassen?« Und der Autor, der nie schweigen kann, ergänzt: »Recht, mein Firmian! Verachte das enge Schlauchherz der großen Kleidermotten um dich … Und ihr armen Teufel, die ihr mich eben leset …, die ihr vielleicht keinen ganzen, wenigstens keinen schwarzen Hut aufzusetzen habt, richtet euch an der großen griechischen und römischen Zeit auf und

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