Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
durchaus ein Körnchen Wahrheit enthält. Denn alle hier vertretenen Ansichten über die Literatur und das Leben sind speziell die Jean Pauls. Den Begriff des Humors kann er nicht nur in seiner individuellen Art definieren, sondern dabei auch humoristisch werden, und wenn er feststellt, dass der Witz nur in Freiheit gedeihe, fordert er die Deutschen auf, doch um diese bestrebt zu sein. Poesie, meint er, könne durchaus auch belehren, aber nicht wie herab von Lehrstuhl und Kanzel, sondern nur so, wie das Öffnen und Schließen von Blüten über Tageszeit und Wetter belehrt.
Der »Vorschule der Ästhetik« ähnlich ist die drei Jahre später erschienene »Levana oder Erziehlehre«, in der Jean Paul seine pädagogischen Erkenntnisse zusammengestellt hat. In sie sind nicht nur seine Erfahrungen als Hauslehrer und Schulmeister eingeflossen, sondern ein wenig auch die mit eignen Kindern. Denn von 1802 bis 1804 wurde ihm jährlich ein Kind geboren, erst eine Tochter in Meiningen, dann ein Sohn in Coburg und dann wieder eine Tochter in Bayreuth.
Kaum waren die Kinder geboren, wurden für sie die geeigneten Gevattern, also die Taufpaten, gesucht. Neben Verwandten und Freunden kamen dafür im Interesse der Kinder auch hochgestellte Personen mit Reichtum und Einfluss in Frage, die dem Kind später bei der Berufswahl oder Heirat nützlich sein konnten und die zur Hilfe bereit waren, wenn es in Not geriet. Üblich war es, dass die Paten dem Kind Geldgeschenke machten und das Kind zu Ehren des Schenkers dessen Namen erhielt. Bei der Erstgeborenen, für die der fürsorgliche Vater elf Paten gewonnen hatte, konnte, da höchstens vier Vornamen üblich waren, Namengeber natürlich nicht jeder von ihnen sein. Das Mädchen hieß also erstens nach dem Wunsch ihres Vaters wie die vorbildliche Prinzessin aus dem »Titan« Idione, zweitens nach der alten Herzogin Weimars Amalie, drittens nach dem Herzog Georg von Meiningen Georgine und schließlich mit Rufnamen noch Emanuele, abgekürzt Emma, nach dem jüdischen Freund Emanuel aus Bayreuth.
Als das zweite Kind, Max, in Coburg geboren wurde und so »toll« aussah »wie ein humoristischer Aufsatz von mir, nur mager« , und mehr braunes Haar mit auf die Welt brachte, als der Vater noch auf dem Kopfe hatte, begann die Freude über das Glück der Ehe langsam schon der Resignation zu weichen, weil der Autor nämlich genauso geräuschempfindlich wie sein Armenadvokat Siebenkäs war. Um ungestört arbeiten zu können, nahm er am frühen Morgen schon seinen Spitz an die Leine und erstieg den Adamiberg, wo ein Gartenhaus ihm die nötige Ruhe gab. Aber da es ihn mehr und mehr nach seinen alten Freunden verlangte, blieb er nur ein Jahr in Coburg und siedelte im August 1804 mit Frau, zwei Kindern und einem Spitz nach Bayreuth über, wo er eine preiswerte 6-Zimmer-Wohnung am Markt bezog. Da er seine Behausungen noch fünfmal wechselte, war es nicht sein letzter Umzug, aber doch der letzte Ortswechsel. Denn aus Bayreuth ging er fortan nur noch zu Kurzreisen weg. Als schlanker junger Mann von 33 Jahren hatte er Hof verlassen, als dick gewordener Einundvierzigjähriger mit halber Glatze kam er in seine Heimat, deren Dialekt er sich bewahrt hatte, nun endgültig zurück. Seine Kleidung, auf die er nie viel Wert gelegt hatte, wurde von ihm nun völlig vernachlässigt. Als Odilie, sein drittes Kind getauft wurde, erschien er mit Stiefeln und schmutziger Weste, aber seinen Humor und seine Güte hatte er sich für immer bewahrt. Auch sein Schreibfleiß blieb anhaltend. Und doch vollendete er seine köstlichen »Flegeljahre« zum Leidwesen der Leser nie.
Abb.39: Jean Paul 1810.
Gemälde von Friedrich Meyer
Flegeljahre
Als zu Beginn der »Flegeljahre« das Testament des reichen Herrn Van der Kabel in der Residenzstadt Haßlau eröffnet wird, hoffen »sieben noch lebende weitläufige Anverwandte von sieben verstorbenen weitläufigen Anverwandten« auf eine große Erbschaft und werden enttäuscht. Nur Kabels Stadthaus soll einem von ihnen zufallen, und zwar dem, der eher als die sechs anderen dem Verstorbenen eine Träne nachweinen kann. Jeder entwickelt nun seine eigne Methode, sich zum Weinen zu bringen, der Herr Kirchenrat Glanz die bei Leichenpredigten oft geübte, sich durch rührende Reden an andere selbst zu rühren, doch ehe er das Ziel erreicht, ist der Frühprediger Flachs schon da. »Dieser hielt sich Kabels Wohltaten und die schlechten Röcke und die grauen Haare seiner Zuhörerinnen des
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