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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter de Bruyn
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geht noch abends vor dem Essen im Park spazieren. Die fremden Virtuosen, die gegen Mitternacht nach Hause gehen, geigen noch auf der Gasse fort bis in ihr Quartier, und die Nachbarschaft fährt an die Fenster. Die Extraposten kommen später, und die Pferde wiehern. Man liegt im Lärm am Fenster und schläft ein, man erwacht von den Posthörnern, und der ganze gestirnte Himmel hat sich aufgetan. O Gott, welches Freudenleben auf dieser kleinen Erde! Und doch ist das erst Deutschland! Denk’ ich vollends an Welschland!«
    Dass dieser Walt dem Victor des »Hesperus«, dem Siebenkäs und anderen von Jean Paul erdachten Gestalten ähnelt, ist so offensichtlich wie selbstverständlich, weil in allen der Geist und das Gemüt desselben Autors lebt. Dieser aber hatte sich in den Jahren zwischen dem »Hesperus« und den »Flegeljahren« verändert, was auch nicht ohne Einfluss auf seine Schöpfungen blieb. Die autobiographisch fundierte Figur eines Walt konnte er nun objektiver gestalten und sie, bei aller Liebe zu ihr, auch ironisch sehen.
    Doch zeigt der Autor in Walt nur die eine Seite seines Wesens, die andere in dessen Zwillingsbruder, der, wie einst Siebenkäs die »Teufelspapiere«, angeblich die »Grönländischen Prozesse« geschrieben hat. Vult darf hier auch weitere Satiren auf den Adel machen und die gesellschaftlichen Zustände des Residenzstädtchens schwarzmalen, die Walt nur rosig sieht. Der Gutherzigkeit seines Bruders setzt er Zynismus entgegen, und die Armut, die Walts Stimmung nicht trüben kann, macht ihn aggressiv. Die Jean Paul innewohnende Doppelnatur, die er schon mehrfach gestaltet hatte, wird in den Zwillingsbrüdern, die nicht zusammenkommen können, zur äußersten Konsequenz geführt.
    Wie viele Gestalten Jean Pauls betätigen sich auch die Brüder als Schriftsteller. Um ihre wesensmäßige Trennung zu überwinden, schreiben sie gemeinsam einen Roman, den »Doppelroman«, der natürlich auch einen Doppelstil hat, den gefühlvollen Walts und den satirischen Vults. Er gleicht also den Romanen Jean Pauls mit ihren Stilwechseln, zu denen Vult dann auch die Theorie liefert: Erstens, sei der Wechsel von Scherz und Ernst, von Gefühl und Satire treues Abbild des Lebens, zweitens, werde der Eindruck von beiden durch das folgende Gegensätzliche nur gesteigert, und drittens, trage der Wechsel, indem er eine Erstarrung in einem von beiden verhindere, zur Gesundheit des Herzens bei. In der Romanhandlung darf Vult dieses Prinzip bei einer öffentlichen Lesung auch praktisch erproben, indem er zu einer rührenden Elegie Walts seiner Flöte närrische Töne entlockt.
    Am Schluss des Romanfragments sind fünf der neun vom Testament bestimmten Tätigkeiten noch nicht begonnen, zwei noch nicht abgeschlossen und auch der Ausgang von Walts Liebesgeschichte ist noch ungewiss. Abgeschlossen scheint mit Vults Abschied nur die Geschichte der Brüder, die so wenig zueinanderkommen können wie Wunschtraum und Wirklichkeit. Den Plan, den Roman weiterzuführen, hat Jean Paul später noch oft erwogen, nie aber ausgeführt. Vielleicht schien ihm später der geplante glückliche Ausgang unrealistisch, vielleicht aber hat ihn von der Fortsetzung nur abgehalten, dass der Roman den Lesern nicht gefiel. Die 4000 Exemplare, die Cotta gedruckt hatte, waren nur schwer absetzbar.
    Viele heutige Leser dagegen halten die »Flegeljahre« für Jean Pauls besten Roman, dem an Humor nur der »Siebenkäs« nahekommt. Bestechend an ihm ist sowohl die Charakterzeichnung der Brüder, die beiden gerecht wird, als auch die in seiner Zeit seltene Genauigkeit, mit der er Stadt, Dorf, Landschaft, Menschen und Arbeit schildert und die Funktion des Geldes aufdeckt, das Ansehen schafft oder mindert, Lebensläufe verändert und auch Gefühle pervertiert. Die ständische Hierarchie und die Starrheit der Konventionen werden durch die Brüder, die beide, jeder auf seine Weise, festgelegtes Rollenverhalten missachten, in Frage gestellt.
    Einer der Leser, die damals schon die »Flegeljahre« bewunderten, war der Student Karl Varnhagen, auf dessen Initiative in Nachfolge dieses Romans ein Kuriosum der deutschen Literaturgeschichte entstand. Als im Oktober 1806 die Franzosen Halle an der Saale besetzten und die Universität schlossen, wurden die studienfreien Monate von Varnhagen und seinem Kommilitonen Wilhelm Neumann dazu benutzt, an einem »Doppelroman« zu schreiben wie Walt und Vult. Als sie dann nach Berlin übersiedelten, konnten sie noch die Autoren

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