Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
preußischen
Zensuredikts von 1788
Als Jean Paul um die Jahrhundertwende in Berlin weilte, konnte er von preußischer Liberalität einen günstigen Eindruck gewinnen, weil es mit der Macht Woellners schon drei Jahre vorher zu Ende gegangen war. Friedrich Wilhelm III. hatte nämlich 1797 bald nach seiner Thronbesteigung das Religionsedikt aufgehoben und sich auch dadurch als geistfreundlich erwiesen, dass er dem Philosophen Fichte, den man in Jena seines angeblichen Atheismus wegen verfolgt hatte, in Berlin Zuflucht bot.
In Sachsen, wo man wirtschaftliche Rücksichten auf die Buchmessestadt Leipzig zu nehmen hatte, machte die Zensur im Allgemeinen wenig von sich reden, zufällig aber geriet Jean Paul gerade dort mit ihr in Konflikt. Der Hamburger Verleger Perthes, dem Jean Paul die Herausgabe der »Vorschule der Ästhetik« anvertraut hatte, ließ diese in Jena drucken, wo ein Zensor Anstößiges fand. Jean Paul, der fürchtete, dass seine Buchhonorare zum Erhalt der Familie nicht ausreichen könnten und der deshalb auf die Unterstützung durch einen Fürsten hoffte, hatte die »Vorschule« mit einer dem Herzog Emil August von Gotha-Altenburg geltenden Widmung eingeleitet, die die originelle Form einer brieflichen Anfrage hatte, ob der Herzog mit dieser Zueignung einverstanden sei. Dies aber war den zensierenden Universitätsprofessoren anstößig erschienen, und obwohl der mit Jean Paul korrespondierende Herzog der Zueignung brieflich schon zugestimmt hatte, Verleger und Drucker Protest einlegten und der Autor mit der Veröffentlichung dieser Willkür drohte, musste das Buch ohne die Dedikation erscheinen, worauf die Leser der »Zeitung für die elegante Welt« am 13. Oktober 1804 erfahren konnten, dass der Autor die verbotene Widmung gesondert erscheinen lassen werde, vermehrt um seine Gedanken zum Problem der Zensur.
Diese erste von Jean Pauls politischen Schriften sollte anfangs als Erinnerung an die Freiheitsbäume der Revolutionszeit »Freiheitsbäumchen« heißen, hieß dann aber, als sie acht Wochen später fertig war, »Jean Pauls Freiheitsbüchlein; oder dessen verbotene Zueignung an den regierenden Herzog August von Sachsen-Gotha; dessen Briefwechsel mit ihm und die Abhandlung über die Pressfreiheit« und erschien, nachdem Perthes sie aus Angst vor der Zensur abgelehnt hatte, bei Cotta in Tübingen, ohne dass die Zensur dort Einspruch erhob. Bedauerlich an diesem so kurzen und klaren wie auch witzigen Angriff auf die Zensoren ist nur, dass Jean Paul sie mit dem Ballast der Briefe des jungen, von literarischem Ehrgeiz getriebenen Herzogs beladen hat.
Abb.41: Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg.
Nach einem Gemälde von Joseph von Grassi, 1813,
gestochen von Moritz Steinla
Anlass zum Spott war die Zensur für Jean Paul schon mehrmals gewesen. Auf den Reklamewert von Verboten hatte er in den »Grönländischen Prozessen« hingewiesen, in den »Palingenesien« hatte er als Grund für die politische Schlafmützigkeit der Deutschen deren ständige Bevormundung angegeben, und im »Komischen Anhang zum Titan« hatte er auf einen ihm widerfahrenen Zensurfrevel dadurch aufmerksam machen können, dass der Titel seiner von der Zensur unterdrückten Satire »Leichenrede auf einen Fürstenmagen« im gedruckten Buch stehengeblieben war. Im »Freiheitsbüchlein« aber ging er nun direkt auf Sinn und Unsinn aller Zensurmaßnahmen ein.
Es beginnt mit einer Satire, in der den Staaten empfohlen wird, die Lesefreiheit dadurch herbeizuführen, dass man mehr Zensoren beschäftigt, denn diese genössen doch vollste Freiheit, so wie auf Sklavenschiffen die Kapitäne und in Gefängnissen die Schließer frei seien, und man brauche doch nur deren Zahl auf die der Leser zu bringen, so sei es schon mit deren Bevormundung vorbei. »Nur möchte, wenn man so viele Zensoren anstellte, als es jetzt Leser gibt, von Sachverständigen zu erwägen sein, ob der Umlauf eines Manuskripts, die Abnutzung, die Verspätung desselben … es nicht rätlicher machten, wenn für die Zensoren, d.h. für die hier möglichen Leser – 300000 deutsche Leser soll es nach Feßlers Zählung geben – der Schnelle wegen die Handschrift vervielfältigt würde, so dass wenigstens 100 Leser ihre besondere und also 300000 ungefähr 3000 Exemplare hätten, was in unseren Zeiten ja so leicht zu machen ist durch die Druckpresse, welcher keine Abschreibfeder nachkommt. Solche leserlich gedruckten Manuskripte für sämtliche Zensoren … könnten
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