Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
Kürbissen jonglierte. Ich wusste, was meine Eltern über seine langen Haare gesagt hätten, vor allem in Kombination mit den dichten Wimpern – »Er sieht aus wie ein Mädchen!« –, aber ich empfand das nicht so.
Weil ich fürchtete, dass Ray meine Gedanken lesen könne, betrachtete ich eingehend die Beeren in dem Korb, den ich in Händen hielt. Ray nahm sich eine besonders rote und reife Erdbeere und steckte sie in den Mund. Aus seinem Mundwinkel rann ein rotes Rinnsal wie bei einem Vampir.
»Weißt du, was ich toll fände?«, sagte er. »Wenn man sich gegenseitig mit dem Mund Erdbeeren füttern würde, so wie Vögel ihre Jungen mit Insekten füttern.«
Ich stand stocksteif da. Nichts in meinem bisherigen Leben hatte mich auf so etwas vorbereitet.
»Jetzt bist du so rot wie eine Erdbeere«, sagte Ray. »Wovor hast du solche Angst?«
»Ich wollte die gerade auf den Pick-up laden«, erwiderte ich. Etwas anderes fiel mir nicht ein. An der Stelle zwischen meinen Beinen, die manchmal feucht wurde, wenn ich in der Scheune meine Bilder zeichnete, spürte ich ein fremdes und aufregendes Prickeln.
»So geht das«, sagte Ray und steckte sich noch eine Erdbeere in den Mund. Da ich schon ziemlich groß war, musste er sich nicht weit zu mir herunterbeugen. Er legte die Hände auf meine Schultern und presste seinen Mund auf meinen. Ich schmeckte den Erdbeersaft auf seinen Lippen. Und öffnete meine, um die Frucht zu empfangen.
So muss das gewesen sein, als Adam Eva begegnet ist, dachte ich. Das ist der Teufel.
Dana
Erdbeeren
I ch hatte schon immer ein lebhaftes Interesse an Dingen, die wachsen. Ich sammelte Samenschoten und nahm sie auseinander, um sie zu betrachten. Pflanzte Bohnen in die Plastikbehälter, die von den Joghurtkulturen übrig geblieben waren, und obwohl ich damals nicht älter als sechs gewesen sein kann, musste mir niemand erklären, dass es nicht ausreichte, nur Löcher in den Boden zu bohren, damit das Wasser abfließen konnte, sondern dass man verschiedene Erdarten brauchte. Ein bisschen Sand am Boden, reichhaltigere Erde obendrauf. Nicht zu viel Wasser, aber auch nicht zu wenig. Man kann einer Pflanze auf dem Fensterbrett nichts Übleres antun, als ihr gerade so viel Wasser zu geben, dass sie zu keimen beginnt, und sie dann der Sonne auszusetzen.
Es gelang mir, eine Avocadopflanze aus dem Stein zu ziehen und eine Süßkartoffel zum Keimen zu bringen. Ich pflanzte Prachtwinden und Katzenminze und schrieb einmal an eine Firma, die in einer Werbeanzeige behauptete, man könne sich selbst Erdnüsse ziehen. Aber die hatten wohl nicht an Vermont gedacht, als sie damit warben, im Herbst könne man dann Erdnüsse ernten.
Einmal kam ich auf die Idee, mir ein Häuschen zum Spielen anzulegen – mit Wänden aus Sonnenblumen. Ich überredete George, mir Samen zu kaufen. Die säte ich dann in einem Kreis aus und goss die Pflanzen den ganzen Sommer über. Als sie groß waren und bald geblüht hätten, zogen wir wieder einmal um, sodass ich das Endergebnis nicht mehr zu Gesicht bekam, aber mein Plan hätte funktioniert. Ich wollte sie oben zusammenbinden, damit sie eine Art blühendes Tipi ergeben hätten. Dann hätte ich mir einen Stuhl in mein Sonnenblumenhaus gestellt und dort meine Biografien von bedeutenden historischen Persönlichkeiten gelesen.
Ich liebte Dünger. Als ich das Jahre später zu Clarice sagte – der Frau, die meine Liebste wurde –, schaute sie mich an, als sei ich völlig verrückt. Aber irgendwann kannte sie mich gut genug, um zu begreifen, was Dünger für mich darstellte: Kraft für die Erde, Nahrung für Dinge, die wachsen wollten.
»Ich mag sogar den Geruch«, sagte ich damals zu Clarice – nicht von grünem Kompost, sondern von gereiftem Kompost, von dem man schon einen Klumpen in die Hand nehmen konnte. (Auch das fand Clarice anfangs ziemlich eklig.)
Zweifellos wissen viele Menschen guten Dünger nicht zu schätzen. Wenn ich manchmal mit Clarice über eine Viehweide wanderte, hob ich ein Stück getrockneten Kuhdung auf, zerbröselte ihn beim Gehen in der Hand und dachte darüber nach, wie dieser Dung entstanden war: aus Gras, Getreide, Samen, die zerkaut worden und durch den Körper der Kuh gewandert waren, um dann verändert wieder ausgeschieden zu werden. Worauf der Kreislauf von vorne beginnen konnte. Ich erklärte Clarice immer wieder, wie schön das sei, und irgendwann verstand sie mich.
Mein Umgang mit Pflanzen, ihr Aussehen, ihre Gerüche und der Prozess ihres
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