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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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irgendwo auf der Höhe von Peabody sagte er: »Es wäre vielleicht das Beste, wenn wir deiner Mutter nicht sagen würden, dass wir Val Dickerson getroffen haben. Du weißt ja, wie sie zu dieser Familie steht.«
    Das stimmte, und es stimmte auch nicht. Unser Verhältnis zu Dickersons war mir immer rätselhaft gewesen, und nun war ein weiteres verwirrendes Erlebnis hinzugekommen. Das ich außerdem bedrohlich fand. Angenommen, mein Vater und Mrs Dickerson hatten sich ineinander verliebt? Angenommen, sie brannten zusammen durch und ließen mich mit meiner Mutter und meinen Schwestern alleine? Dann würde Dana Dickerson meinen Vater bekommen. Und was sollte aus meiner heimlichen Liebe zu Ray werden?
    Ich war mir allerdings ganz sicher, dass mein Vater niemals unsere Farm im Stich lassen würde. Was er auch für Val empfinden mochte – und als ich sie so gesehen hatte, konnte ich ihn sogar verstehen –, er würde niemals uns, seine Pflanzen und seine Tiere, seine Farm verlassen.
    Dennoch hatte ich Mühe, die Erlebnisse dieses Nachmittags zu begreifen. Ich fragte mich, wieso Mrs Dickerson – die auch den Eintrittspreis von vier Dollar bezahlt haben musste – wieder gegangen war, ohne auch nur einen Raum des Museums gesehen zu haben. Und weshalb war sie so schick angezogen gewesen? Seit wann nannte sie meinen Vater Eddie?
    »Sie hat eine lange Rückfahrt nach Maine«, sagte mein Vater dazu; dabei erklärte das nichts, sondern machte es nur noch unverständlicher.
    In der Woche darauf traf ein Päckchen für mich aus Maine ein. Auf der Karte stand, es sei ein verspätetes Weihnachtsgeschenk, obwohl unsere Familien sich nie gegenseitig beschenkt hatten – wenn man von den Topflappen, die meine Mutter Val gelegentlich mitgebracht hatte, absah.
    Und niemand außer mir bekam ein Geschenk. Ich wusste schon, was es war, bevor ich es aufmachte, denn jedes Mädchen, das sich für Barbies interessierte, kannte diese Kartonform.
    Die Fashion Queen Barbie, in einem trägerlosen Abendkleid, mit drei Frisuren in unterschiedlichen Farben. Meine Mutter war natürlich alles andere als begeistert. »Was denkt sich diese Frau, einem Mädchen aus einer gottesfürchtigen Familie so ein Geschenk zu schicken?«, sagte sie, ungeachtet der Tatsache, dass ich für Puppen eigentlich schon zu alt war.
    »Ich dachte mir, du solltest so eine haben«, hatte Val geschrieben. »Ich finde, jedes Mädchen braucht zumindest eine Barbie.«

Dana
    Ziemlich daneben
    D amals lebten wir gerade in Maine. Es war die Phase mit der Muschelbude, wobei aus der ein Gemüsesaftstand geworden war, der auch nicht gut lief. Außerdem war die Saison vorbei, weshalb George sich wieder dem Songschreiben zuwandte. Um ein bisschen Geld zu verdienen, hatte Val sich darangemacht, außergewöhnliche Glückwunschkarten zu gestalten. Und tatsächlich waren diese kleinen Aquarelle sehr schön. Das Problem bestand in den Sprüchen, die sie mit einem speziellen Kalligrafiestift hineinschrieb. Die Sprüche waren nämlich alle ziemlich daneben.
    »Auch wenn dein Leben schwierig ist, kannst du im Mondlicht tanzen.«
    »Wenn das Wasser gefriert, schleife deine Schlittschuhe.«
    »Die Liebe zerbricht so leicht wie Glas.«
    Wir hatten kein Geld mehr. Val hatte offenbar noch ein paar Anteile von Onkel Teds Kaugummiaktien, aber die verkaufte sie nun auch. Das weiß ich noch, weil ich die Tiere unserer Nachbarn gefüttert hatte, während die in den Weihnachtsferien waren, und als ich nach Hause kam, standen diese ganzen Sachen in der Diele, die Val gekauft hatte, als der Scheck eingetroffen war: eine wunderbar weiche Lederjacke für meinen Bruder, eine Lampe, die Sternbildmuster an die Decke zeichnete, und für mich einen Führer über die Vögel Neuenglands mit einer Langspielplatte, auf der die Vogelstimmen zu hören waren. Das war meiner Erinnerung nach das einzige Geschenk, das Val je liebevoll für mich ausgesucht hatte – wirklich für mich und nicht für die Tochter, die sie vielleicht lieber gehabt hätte.
    In unserer Lage hätten manche Menschen den Rest des Geldes auf einem Sparkonto angelegt. Aber nachdem Val die Stromrechnung bezahlt und die Vorräte an Trockenfrüchten und Linsen aufgestockt hatte, kaufte sie diese Geschenke. Sie war mit unserem alten blauen Rambler in Boston gewesen. »Ich hatte Lust, ins Museum zu gehen«, erzählte sie uns.
    Dort hatte sie offenbar auch Postkarten gekauft. Ich erinnere mich an ein Bild von einer Frau, die von Kopf bis Fuß in weiße Tücher

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