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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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geben. Die beste Voraussetzung dafür: nicht jemanden «mal eben zwischendurch» reinlassen, kein hektisches Beiseiteräumen von all dem Plunder, der sich angesammelt hat. Das signalisiert nur: Du störst. Mach’s kurz. Stattdessen – schauen Sie sich das Sprechzimmer hier an – eine gewisse Ordnung im Äußeren, die den Rahmen gibt für eine Begegnung, in der auch Unordentliches zur Sprache kommen darf.
    Wer im Kloster empfangen wird, kann vom ersten Eintritt und Warten im Sprechzimmer lernen. Stürzen Sie nicht aus dem Auto an die Hausklingel und dann die Treppe hinauf in die Begegnung hinein. Sie sind nicht auf der Flucht. Schalten Sie den Motor aus. Atmen Sie zweimal tief durch, bevor Sie zur Taschegreifen. Bleiben Sie einen Moment vor der Tür stehen, bevor Sie klingeln. Gehen Sie langsam. Nach der Begrüßung ein weiterer Atemzug: Wer drauflosplappert, nimmt sich die Chance, die Atmosphäre aufzunehmen, in der die Begegnung stattfinden wird.
    Überhaupt: das Schweigen. Hier im Sprechzimmer wird viel mehr geschwiegen, als der Ausdruck «Sprech»-Zimmer vermuten ließe. Das ist für manchen, der noch ganz im Fluchtverhalten gefangen ist, zunächst unangenehm. Er wittert Gefahr: «Was wollen Sie von mir? Was denken Sie von mir?» Wir besprechen dann, dass ich mir und ihm Zeit geben will, zu erfassen, was gerade zwischen uns geschieht. Und manchmal passiert es, dass aus dem Schweigen heraus ein Thema ins Gespräch kommt, das von meinem Gegenüber gar nicht so geplant war: «Darüber wollte ich ja gar nicht reden», lautet die überraschte Reaktion zwischendurch – und er findet sich mitten in Gedanken, die Teil der Lösung eines Problems sind, von dem er sich doch eigentlich meinen Rat erhoffte.
    Bauen Sie auch in Ihr Leben Sprechzonen ein, in denen solche überraschenden Einsichten auftauchen können. Vereinbaren Sie beim Spaziergang im Park, am Kaffeetisch oder in einer Arbeitspause mit Ihrem Partner, Freund oder Kollegen, dass es auch Zeiten des Schweigens geben darf. Die modernen Flüchtlinge brauchen solche Anleitungen zum Bau von Räumen der Begegnung. Sonst bleibt für sie die Stille das Signal: aus, Ende. Und weiter.
    Überraschen Sie Ihr Gegenüber mit der Einladung: «Es macht mir nichts aus, wenn wir während unseres Gesprächs auch gemeinsam schweigen.» Sie können am Anfang einer Begegnung auch das Ende schon ansprechen. «Schön, dass wir uns treffen. Die nächste Dreiviertelstunde gehört uns allein.» Mit solchenWorten geben Sie dem Gespräch eine Zeitform. Sie hilft, Reden und Schweigen zu konzentrieren.
    Man kann nämlich nicht alles mal eben schnell bereden. Versuchen Sie nicht, alles anzusprechen. Machen Sie sich keinen Plan. Gehen Sie schon gar nicht mit dem Vorhaben in eine Begegnung, den anderen zu irgendetwas drängen zu wollen. Sobald Sie ein wichtiges Anliegen haben, gewinnt es an Bedeutung, wenn Sie alles offenlegen und eher etwas anbieten, als darum zu werben. Im Mittelpunkt Ihrer Gespräche stehe die Suche nach der Wahrheit; alles andere wäre Manipulation.
    Verlassen Sie sich darauf, dass schon zutage tritt, was hier und jetzt wichtig ist. Dafür braucht es den ganzen Mut, jede Begegnung so ernst zu nehmen, als sei sie die letzte. Mich erinnert unsere Uhr im Kreuzgang daran: «Una ultima» steht auf ihr geschrieben. Eine Stunde ist die letzte. Auf dem Weg zum Sprechzimmer lädt sie mich ein, niemanden wichtiger zu nehmen als den, der mir jetzt begegnen wird. Auch wenn ich gespannt bin, wer mich verwandeln wird, wer da auf mich zukommt: Ich heiße ihn willkommen. Er kommt aus seinem Leben zu mir und tritt in mein Denken und Fühlen ein. Wir lassen uns in dem Rahmen, den wir uns stecken, Zeit.
    Mir ist das unbefangen möglich, weil ich als Kapuziner in jedem, egal wie er ist, Jesus Christus auf mich zukommen sehe. Alle Menschen sind für mich da wie eine Fülle von Aspekten, mit denen sich mir der Mensch «Jesus» heute zeigt. Ich bin schlichtweg neugierig, wie Gott sich mir denn jetzt schon wieder präsentieren will. «Die Brüder sollen mit jedermann anständig reden, wie es sich gehört», schreibt uns Franziskus von Assisi in die Ordensregel. Die sprichwörtliche Volksverbundenheit der Brüder hat wohl darin ihren Ursprung: Es ist uns egal, ob einer berühmt oder unbekannt, reich oder arm, schuldig oder makellos ist. Wirkönnen mit allen gleich gut umgehen, zumindest mit fast allen. Denn auf wen wir auch treffen: Er ist für uns ein Aspekt aus der Fülle Gottes. Im Einzelnen

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