Das Leben Findet Heute Statt
Hinhören. Um das gemeinsame Hinhören. Um das Hören dessen, was ein anderer vernimmt und ich vielleicht sonst überhöre. Es geht um ein Horchen auf die Musik in den Dingen. Auf die Töne in der Welt.
Sollten Sie diese Zeilen mit Musik im Hintergrund – oder ist es ein Untergrund? – lesen, schlage ich Ihnen vor, jetzt einmal bis zum Ende des Kapitels die Stille zu wagen und freiwillig – bitte nicht davon abschrecken, wohl aber vielleicht erschrecken lassen – den Gehorsam zu üben.
Der Jazzfachman Joachim-Ernst Behrendt hat mir den Sinn dieses Gehorsamseins erschlossen, den ich ja als Ordensmann Gott versprochen habe. Er hat in den achtziger Jahren eine Radiosendereihe mit dem Titel «Die Welt ist Klang» erstellt. Es geht darin um die «Entstehung der Welt aus der Musik». Besonders bewegte mich sein Gedanke, dass alles in der geschaffenen Welt Schwingung ist. Angefangen von der Atomschwingung bis hin zu den Pulsaren, die im Weltraum mit riesigen Teleskopschüsseln «abgehorcht» werden. Das menschliche Ohr habe die meisten Nervenendungen pro Quadratmillimeter, erklärt er, damit sei es das empfindlichste Organ, fähig, dem Menschen zu einer vollkommenen Orientierung in der Welt zu verhelfen. Die Welt selbst habe so einen eigenen Klang, den zu hören wir uns nicht satthören könnten. Der Wald und die Wüste, die Stadt und ein kleines Dorf – alles habe seinen spezifischen Sound. Es käme darauf an, diesen in sich aufzunehmen und darin die Welt ganz neu zu entdecken, immer bereit, sie hier und jetzt wirklich zu empfangen, wie sie sich uns original darbietet.
Deswegen ist die Stille so wichtig: Sie eröffnet die Möglichkeit, Menschen für hier und heute zu werden. Von dem Raum der Stille, der diese Klosterkirche ist und in dem wir gerade stehen, können Sie in Gedanken in Ihren Alltag gehen. Sie haben es in der Hand, ob Sie ein Mensch sein wollen, der schon heute anfängt, intensiv zu leben. Wir können im wahrsten Sinne des Wortes Zeitgenossen werden, wenn wir uns nicht ständig in andere Welten hinein ablenken lassen. Es darf ruhig still werden um uns. Es darfstill werden in uns. Keine Angst. Und wir erfahren, dass die Stille nicht leer ist. Der Befürchtung, sie könne es sein, müssen wir mit einem festen Vertrauen begegnen. Wir entdecken darin etwas Wesentliches, wenn wir uns nur gut genug darin üben.
Die Brandung des Plapperns und Tönens wird auch in der Stille noch eine Weile nachklingen. Meine ersten Monate des Übens der Stille waren nicht einfach. Ich war ja ein junger Mann, der Diskothekenbesuche und Durch-Kneipen-Ziehen liebte. Die Stille des Klosters und die regelmäßigen Besuche der Kirche habe ich wie ein Vakuum erlebt. So seltsam es sich anhören mag: Der Kopf dröhnte mir vor nichts. So viele Gedanken kamen auf, Zweifel und Phantasien, dass ich schier hätte verrückt werden können. Wenn einem das Ohr nicht ständig zugemüllt wird, wird man wach für die eigenen Töne. Mir war, als würde jemand zu mir sprechen: «Hier spielt die Musik. Hier in deinem Leben. Hier an diesem Ort.»
Die Frucht, die durch Stille entsteht, ist tatsächlich die Präsenz. Wer still ist, wird präsent. Wer ruhig ist, ist einfach da. Vielleicht wegen der historischen Wurzeln im Zen-Buddhismus beginnen in Japan die Arbeitstage mit einigen Minuten der Stille, die alle Mitarbeiter einhalten, bevor sie im Betrieb ans Werk gehen. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass in Deutschland und anderen Ländern die Orte der Meditation mehr und mehr Zulauf haben. Man schätzt wieder die Stille der Kirchen und Klöster, in die sich viele wenigstens für einige Tage zurückziehen. Der Film «Die große Stille», der ohne jede Filmmusik drei Stunden das Leben der in vollkommenem Schweigen lebenden Kartäusermönche zeigt, war ein echter Kinoerfolg und zeigt, dass das Bedürfnis nach Konzentration im Schweigen groß ist.
Ja sogar so etwas wie Sehnsucht danach ist vorhanden. Und doch fürchten wir uns davor. Der Grund ist einfach: In derStille werde ich auf mich selbst zurückgeworfen. Da ist dann eben nichts anderes mehr als das Ich, als meine Person. Wirklich nichts anderes mehr?
Ein heiliggesprochener Priester des vorletzten Jahrhunderts, Jean-Marie Vianney, bekannt als der Pfarrer von Ars, fand in seiner Kirche fast jeden Tag einen Bauern, der hinten im Gotteshaus einfach nur still dasaß. Auf die Frage, was er denn da mache, antwortete er dem Pfarrer: «Ich bin da. Er ist da. Und das ist genug.»
Der Bauer lässt
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