Das Leben Findet Heute Statt
kommt diese Fülle auf uns zu. Ihm wenden wir uns wach und aufmerksam zu. Ich denke nicht daran, was mir noch alles begegnen wird. Ich beginne jede Begegnung so ernst, als würde mich Gott ins Gebet nehmen. Das Leben fängt heute an. Lasst uns reden!
4. Die Klosterkirche
«Ich fühl mich so leer.» Oder: Stille zum Staunen
Hier links geht es jetzt in unsere Klosterkirche. Sie ist schlicht ausgestattet, kaum Marmor, dafür umso mehr Holz. Das gibt dem Raum eine einladende Wärme. Die Mitte bildet ein großer Altarstein, der sich vom Holzinventar deutlich abhebt. Er ist das Zentrum der Brüdergemeinschaft. Dort feiern wir jeden Morgen einen katholischen Gottesdienst, der auch Eucharistiefeier heißt. Eucharistie bedeutet Danksagung: Wir Brüder beginnen den Tag wie viele andere katholische Christen mit dem Dank an Gott dafür, dass er durch Jesus Christus die Welt erlöst hat. Ich kann bei dieser Führung leider nicht näher auf dieses Geschenk eingehen, aber ich kann hier so viel sagen: Ohne diese Feier jeden Morgen fiele unsere Gemeinschaft bald auseinander und verlöre ihren Sinn. Wir essen hier rituell von einem Brot und trinken aus einem Kelch. Dabei nehmen wir Jesus selbst in uns auf. Wir glauben, dass er dann ganz lebendig unter uns ist. Wir fühlen uns nach jeder Eucharistiefeier wieder neu miteinander und mit Jesus verbunden.
Vermutlich ist das für alle, die mit dem christlichen Glauben nicht vertraut sind, der schwierigste Punkt bei der Klosterführung. Ich kann sogar in gewisser Weise nachvollziehen, dass es manchen einfach unglaublich vorkommt, dass wir Brüder hier behaupten, auf Tuchfühlung mit Jesus zu sein, der vor 2000 Jahren historisch beweisbar gelebt hat. Wir glauben mit allenChristen, dass er nach seiner Ermordung am Kreuz auferstanden ist und in dieser Welt lebt. Jeder von uns Brüdern hat ihn auf eigene Weise erfahren und dann beschlossen, dass er ihm als Kapuziner am besten dienen kann. Deswegen ist ein Treffen beim Gottesdienst mit diesem Jesus so wichtig für jeden Einzelnen und für die ganze Gemeinschaft.
Selbst wenn jeder von uns allein zum Gebet hier in die Kirche kommt, ist sie für ihn nicht leer. Vorn links sehen Sie ein kleines metallenes Schränkchen, das wir Tabernakel nennen. Daneben brennt eine Kerze in einem roten Glas. Im Tabernakel bewahren wir die Reste auf, die im Gottesdienst beim Brotbrechen übrig bleiben. Wir glauben, dass sich Jesus für uns im gebrochenen Brot zur Verfügung stellt. Die Kerze zeigt, dass im Tabernakel Leben ist, nämlich Jesus selbst. Und dass diese Kirche deswegen nie leer ist. Alles, was es hier gibt, die ganze Kirche, alle Figuren und auch die Fenster – das alles wurde sozusagen um Jesus herumgebaut. Alles weist auf ihn hin. Die Stille in diesem Raum ist charakteristisch. Wir Kapuziner erleben sie als eine gefüllte Stille. Sie zu hören macht uns gespannt auf die Begegnung mit Jesus. Wir können in ihr ohne Zeitdruck darauf warten, dass etwas passiert – von diesem gegenwärtigen lebendigen Jesus her zu uns oder von uns hin zu ihm. Hier in diesem Raum tun wir das in unseren Gottesdiensten und Gebetszeiten. Und in unserem Klosteralltag dann wieder. Stundenlang. Tagelang. Ein Leben lang …
Von alldem merkt man natürlich wenig, wenn man als Fremder in eine solche Kirche kommt. Zuerst ist hier einfach nur Ruhe. Kein Hintergrundgedudel von esoterischen Melodien und auch keine Musik von einer frommen CD. Die Kirche ist eine Halle, in der es einfach nur still ist. Bevor Sie das wahrnehmen, werden Sie erst einmal dem Lärm bewusst lauschen. Sie bringen dieGeräusche der Straße mit und hören sie hier weiter. Auch eine doppelte Verglasung der Fenster kann sie nicht einfach außen vor halten. Als Besucher dieser Kirche bringen Sie auch den Lärm der oberflächlichen Gespräche mit. Was wird nicht alles gequatscht, nur damit es geschwätzt ist, wie man bei den Schwaben sagt? Egal, was für ein Inhalt, Hauptsache, es redet aus uns heraus. Keiner hört mehr auf den anderen. Jeder trägt bei zur akustischen Umweltverschmutzung, bei der es nicht darauf ankommt, was gesagt wird: Ja, ja und mh, mh – dazu wird beiläufig genickt. Wenn einer etwas redet, ist der andere mit seinen eigenen Gedanken schon längst woanders. Nur nicht im Hier. Beim Gegenüber.
Den lieben langen Tag windet sich eine ganze Schlange von nichtssagenden Smalltalks durch Bürogebäude, Vereinsabende oder Empfänge im kleinen wie im großen Stil. Die Plapperitis wird
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