Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
Vom Netzwerk:
angefeuert durch das, was uns durch Morningshows und Frühstücksfernsehen auf die Beine helfen soll. Wir zittern mit den Membranen der Lärmerzeuger aus dem Bett und in den Tag. Keiner hat eine Chance, dem zu entfliehen. In jeder Wohnung steht nicht nur ein Fernseher mit Lautsprechern, sondern auch ein Radio im Wohnzimmer, eines im Bad, ein zweiter Fernseher im Schlafzimmer, und natürlich muss der Computer seine Boxen haben, nicht zu vergessen der MP 3-Player mit den Ohrstöpseln. Aus allen Ecken und in allen möglichen Musikrichtungen dröhnt eine Beschallung, die unseren Körper ergreifen will. So wippt also eine ganze Nation im Takt von Schlagzeug und Bässen, lässt sich berieseln. Immer, zu jeder Zeit, auch im Winter, wenn die ganze Natur zum Stillwerden einlädt. Dann rieseln leise – eigentlich schöne – Melodien bis zur Unkenntlichkeit verkitscht, gesampelt und versimpelt, auf dass sich noch geschmeidiger die Geldbörsen öffnen.
    Der Tonterror ist so perfekt, dass unlängst der berühmteDirigent Justus Frantz äußerte, er würde gern einen Verein für die Stille gründen. Es sei so laut in der Welt geworden, dass wir unfähig seien, zu hören. Dem kann ich nur beipflichten. Unablässig wird man vollgequatscht mit Gute-Laune-Sprüchen, mit Dummheit und Dümmlichkeit, die das Geld nicht wert sind, das Werbekunden aber just in diese Art von Kommunikationsmittel-Verschandelung hineinpumpen. Was Radio und Fernsehen einmal sollten – zur Volksbildung beitragen   –, gehört längst schon der Vergangenheit an. Nach der Devise: «Nimm alles nicht so schwer, denn morgen ist auch noch ein Tag!», wird man daheim und unterwegs aufgemuntert, angeregt, erregt und auf dem Laufenden gehalten. Wer ins Kaufhaus geht, schwebt auf Rolltreppen immer höher und wird aufdringlich bis zur Toilette von warmen Tönen umgeben, die nach Himmel klingen und Märchenwald. So soll man den Moment vergessen und auf keinen Fall an das harte Heute denken, sondern dies und jenes noch mitnehmen für morgen, für die nächste Woche oder wann immer man es bestimmt einmal brauchen wird, für den großen Moment, von dem man auf dem Klangteppich nur träumen kann.
    Die Abwesenheit der Stille ist schon so selbstverständlich, dass man selbst für ein Gespräch den Lärm braucht. Wenn ich mal der Einladung in eine Kneipe folge, weiß ich schon vorher, dass aus der Unterhaltung nichts werden wird. Die Musik übertönt alles, und weil die laut ist, muss auch jeder laut werden, der dem anderen etwas sagen will. Und wenn alle laut sind, muss jeder noch lauter werden als der andere, und es mündet in ein Geschrei von Dialogen rund um einen Tisch, an dem sich eigentlich acht oder zehn zu einem unterhaltsamen Abend treffen wollten. Oder man gibt sich geschlagen und schweigt mitten im Lärm und vertröstet sich damit, dass es vielleicht beim nächsten Mal ein besseres Gespräch geben werde.
    Ich habe den Verdacht, dass die Geräuschkulisse dazu dient, nicht allzu ernsthaft ans Nachdenken kommen zu müssen. Selbst bei Hausbesuchen kommt es vor, dass ich zwar im Wohnzimmer einen Sessel angeboten bekomme, der Fernseher aber nicht ausgeschaltet wird. Und ist es nicht der Fernseher, dann eben das Radiogerät oder der C D-Player . Irgendwas muss zucken. Die Töne im Raum scheinen Halt zu geben: Es könnte einem ja der Gesprächsstoff ausgehen. Oder ein Gedanke könnte die gewohnten Denkbahnen durchbrechen – da möchte man doch nicht zu lange verweilen, sondern sich leicht forttragen lassen von allzu schwerem Nachdenken.
    Die Höchstform der Verlärmung des Alltags geschieht durch Ohrstöpsel zum Hören von Musik. Man stopft sich freiwillig die Ohren voll und schottet sich ab von allem Wichtigen um einen herum. Die Begründung dafür scheint plausibel: Damit ich hören kann, was ich will! Diesem Argument kann ich sogar etwas abgewinnen. Manche Sendung im Radio ist wirklich interessant. Mittlerweile kenne ich auch einige passionierte Podcasterinnen und Podcaster, denen ich gern zuhöre. Nichts gegen das ausgewählte Hören von Musik oder Informationen. Trotzdem ziehe ich mir die Kopfhörer dann gern wieder ab: Ich will nicht nur exakt das hören, was ich eigentlich will. Denn sonst wiederhole ich ständig nur, was meinem Geschmack entspricht. Ich lese auch nicht nur, was ich will. Wie könnte ich sonst Neues in mein Leben hereinlassen?
    Mir ist seit Beginn meines Ordenslebens das Wort Gehorsam sympathisch gewesen. Es geht dabei auch um das Hören. Um das

Weitere Kostenlose Bücher