Das Leben Findet Heute Statt
in der Stille sein Grundvertrauen zum Zuge kommen. Es ist eben nicht nichts hinter dem Nichts oder in der Stille. Die Stille ist gefüllt und wird zu einem Schweigen, das ein liebendes Beieinander werden kann mit Gott. So zumindest sagen wir Kapuziner es. Wir pflegen die Ruhe und können angesichts so mancher ungelöster Fragen in uns und mit anderen darin oft nur noch seufzen: «Ach, Gott. Du. Und ich. Ich. Und du.»
Das Geheimnis einer Klosterkirche ist, dass sie um ein Du herumgebaut worden ist. Das kleine rote Licht vorn neben dem Tabernakel zeigt das nach außen. Die Kirche steht für die ganze Welt. Sie ist nicht leer. Die ganze Schöpfung, so lernen wir Kapuziner mit Blick auf unseren Ordensgründer Franziskus von Assisi, ist eine Kathedrale. In ihr singt und zwitschert, rauscht, plätschert und donnert es, und Regentropfen trommeln an die Fenster. Wir sehen alles, was ist, herumgebaut um eine Mitte, die nicht leer ist. Wir nennen sie Gott. Aus ihm heraus ist alles geschaffen. Ganz einfach. Ganz still. Und wir selbst noch dazu. Joachim-Ernst Behrendt meint in diesem Zusammenhang: «Die Musik ist der Edelschmuck um das Wertvollste, was die Schöpfung kennt.» Er meint damit die Stille. Ein Ton und noch ein Ton wirken, weil dazwischen die Stille ist, mal kürzer, mal länger. Wer sich darauf einlässt, wird Musik nicht mehr hören könnenals etwas, was ihn ablenkt. Wer sich darauf einlässt, wird das Reden von Menschen nicht mehr ertragen können, wenn es ein Geplapper ist, das die Stille vermeiden will und immer weiterredet und weiterführt, ohne an ein Ende zu kommen. Wer sich darauf einlässt, wird wirklich hören wollen, was sich dazwischen, in der Stille, ereignet.
Die Gegenwart ist der Ort, an dem sich so viel ereignet, dass ich ganz Ohr für sie sein will. Manche haben schon ihren Fernseher auf den Dachboden geschleppt und den Radiowecker in den Schrank gestellt. Sie möchten allein oder mit dem Partner oder der Partnerin einfach für sich sein in den ersten Stunden des Tages. Es gibt so viel Melodie in der Stimme und in den Geräuschen der unmittelbaren Umgebung: Die Welt ist auch in der Stille voll von Musik. Diese zu hören und darauf zu horchen, sich zu konzentrieren auf die Botschaft, die darin steckt, ist ein Abenteuer mit täglich neuen Überraschungen.
Gerade dem Abend gehört die Ruhe. So armselig kann kein Tag verlaufen sein, dass wir ihn nicht in Stille Revue passieren lassen können. Wer immer und immer wieder neue Töne, neue Informationen oder einen neuen Witz an sich heranbranden lässt, verpasst die Chance, aus den Erlebnissen des Tages in der Stille eine Erfahrung reifen zu lassen. Ich stelle mir manchmal bewusst vor, was alles war, und suche in der Stille den roten Faden des Tages. Das kann dauern, bis sich Zusammenhänge zeigen. Manchmal entdecke ich mehr, manchmal auch weniger. Aber es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht staune, still staune – still glücklich bin.
Auch wenn es Ihnen unwahrscheinlich vorkommen mag: Weil ich die Stille übe, höre ich leichter die Musik, die in diesem oder jenem Ereignis des Tages klingt. Deswegen verstehe ich auch die Brüder Kartäuser gut. Mir sind die Schwestern Klarissen lieb,die in ihrer Klausur einfach und still im Schweigen vor Gott leben. Sie alle sind Verwandte von uns Kapuzinern. Wir wissen darum, wie einfach das Leben zum Staunen reich wird an Glück: Wenn wir uns nicht ablenken lassen, sondern die Musik hören, die in den Dingen und Erlebnissen des Lebens spielt. Sie ist sehr variantenreich, kennt dunkle und helle Töne, das Allegro und Andante und hat doch nur ein Thema: Dies ist das Leben. Kein anderes hast du zur Verfügung. Und es fängt heute an. Es ist bereits da.
5. Der Chorraum
«Ist doch immer dasselbe.» Oder: Rhythmus statt Langeweile
Hinter der Tür am Altar in einer Kapuzinerkirche erahnen Sie bestimmt einen Raum, der vom Kirchenschiff abgetrennt ist. Das ist der Chorraum der Brüder, in dem sie beten und meditieren. Die Verbindung zur Kirche stellen zwei Türen rechts und links her. Anders als in den großen Abteien wollten unsere Vorfahren sich im Gebet nicht öffentlich zeigen. Sie hatten sich die Phasen im Leben ihres Ordensgründers zum Vorbild genommen, die er in Eremitagen verbracht hatte. Der heilige Franziskus lebte den Rhythmus von Zurückgezogenheit und Öffentlichkeit, Gebet und Predigt. Er legte den einen Schwerpunkt auf das Leben mit den Armen und den anderen auf sein Leben mit Gott. Die Kapuziner
Weitere Kostenlose Bücher