Das Leben Findet Heute Statt
die schmutzige Schürze, die Berge von Abwasch und die Fehlversuche keine Rolle spielen. Wir werden in eine Vorstellungswelt hineingehoben, die uns davon abhält, unsere Gerichte, die wir heute und nach unseren Möglichkeiten zubereiten können, als ausreichend zu empfinden.
Vielleicht sagen deshalb so viele Menschen, sie könnten nichtkochen. Sie lassen sich auf den Ruhestand, den Urlaub oder die Zeit vertrösten, in der man sich das alles leisten können wird, was zu einer guten Küche gehört. Dagegen möchte ich entschieden Einspruch erheben. Das Kochen muss heute stattfinden. Es ist eine wichtige Investition in die Zukunft, die nur durch Kontinuität ihren ganzen Segen ausschütten kann. Es beginnt damit, den eigenen Fähigkeiten des Riechens und Schmeckens zu trauen. Kein Kochbuch kann das vermitteln. Wie schmeckt, was in der Abbildung nur schön aussehen kann? Sie kann auch nicht vermitteln, wie man den natürlichen Kontakt zu Schwester Möhre und Bruder Apfel wiederbelebt. Das kann nur damit beginnen, dass Sie sich sagen: Dieses Stück Obst ist für mich gewachsen. Das Gemüse hier soll mich und alle in meinem Haushalt ernähren und ist mir deswegen heute in die Hände gelegt, damit ich es bearbeite. Bei einem Stück Fleisch sehe ich nicht nur das Material, sondern bin darüber besorgt, ob es aus artgerechter Viehhaltung und schonender Schlachtung stammt. Mir ist wichtig, dass ich den Jahreszeiten angemessen einkaufe und die Waren verarbeite. Ich stelle mir die Flugzeit vor, die eine Erdbeere im Winter und eine Möhre im Frühjahr hinter sich haben.
Kochen beginnt mit dem Horchen auf die Heimat der Lebensmittel. Oft denke ich beim Kochen auch an die Worte aus der Eucharistiefeier. Sie sind vom jüdischen Tischgebet übernommen: «Gepriesen bist du, Herr unser Gott. Du schenkst uns Brot und Wein, Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit.» Kochen bringt die Geschenke aus der Schöpfung mit uns ins Gespräch. Daher benutze ich selten ein Kochbuch. Mich können eher die Ideen anderer inspirieren. Mehr aber noch regt mich an, was Garten, Kühlschrank, Vorrat und Reste vom Vortag anbieten. Das, was heute da ist, soll uns nähren. Darauf darf ich vertrauen. Das nehme ich wichtig.
Mein Lieblingsspruch in der Küche lautet: «Ich koche das Leben, und das Leben kocht mich.» Er fasst zusammen, was Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, in seinem Buch «Das Ich, der Hunger und die Aggression» darlegt: Wir könnten nicht anders wir selbst werden, als uns, durch den Hunger getrieben, diese Welt einzuverleiben. Dazu braucht es die Kraft der Aggression. Sie ist positiv.
In den Kürbis schneiden, Vollkorn mit den Zähnen mahlen, in einen Apfel beißen. Das erfordert Kraft. Dafür muss man sich anstrengen. Bei weichem Brot und geschnetzelten Speisen, die mehr geschlürft als gegessen werden können, lässt sich leichter weiterträumen. Die Umwelt kann nicht erfahren werden. Der Biss und das Mahlen wecken für die Gegenwart. Grundschulkindern, denen man Vollkornbrot zu essen gibt, waren in einem Versuch nach einigen Wochen deutlich aufmerksamer im Unterricht und viel weniger aggressiv zueinander.
Wer frisch annimmt, was sich ihm bietet auf dem Markt des Lebens, und es heute verarbeitet, lebt differenzierter und damit gesünder. Wer denkt: «Das pack ich morgen an», schiebt vieles vor sich her und sorgt dafür, dass er bald selbst nicht mehr weiß, was er wann wie verarbeiten soll.
Mir hat der Walt-Disney-Pixar-Film «Ratatouille» gut gefallen. Unter den Ratten, die dort vom Abfall eines Restaurants leben, ist eine, die sich nach einem anderen Leben sehnt. Sie entdeckt ein Kochbuch mit dem Titel «Jeder kann kochen!». Das veranlasst sie zu einer Reise, in deren Verlauf sie allerlei Abenteuer zu bestehen hat und schließlich einem jungen Mann, der den Glauben an sich verloren hat, die Sinne öffnet fürs Kochen. Und damit die Sinne öffnet für den Sinn seines Lebens.
Oft braucht es nicht mehr als ein bisschen Mut und den Willen, eine Beziehung zur Nahrung aufzubauen. Statt eine Dosezu öffnen, können Sie die Zutaten frisch vom Markt holen. Sie nehmen beim Kochen automatisch die Haltung der Meditation ein: Sie stellen sich vor, wie es wohl im Gemüse, im Obst oder im Fleisch zugeht und was die verschiedenen Zutaten von ihrem Wesen her zum Gelingen der Mahlzeit beitragen werden. Lassen Sie ihnen Sorgfalt angedeihen. Es sind Kreaturen Gottes.
Statt: «Man nehme …», sage ich mir lieber: «Man
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