Das Leben Findet Heute Statt
höre!» Man höre auf die Eigenschaften, die in den einzelnen Bestandteilen des Mahls zu finden sind, und mache daraus dann eine eigene Symphonie. Eine Frischesymphonie für das Heute. Denn so spüren wir das Leben.
Was uns die Natur schenkt, ist doch viel zu wertvoll, als dass wir es uns in der Großindustrie vorkauen lassen sollten. Wir sind Teil der Natur, und wir tragen Verantwortung dafür, wie wir damit umgehen.
7. Das Refektorium
«Das schmeckt mir nicht.» Oder: Gemeinschaft durchkauen
An die Küche schließt sich das Refektorium an. Dies ist der Speisesaal der Brüdergemeinschaft. Er ist so gestaltet, dass man gleich merkt, dass er mehr als nur ein Zweckraum ist, in dem man die Mahlzeiten zu sich nimmt. An der Stirnwand hängt in einer Nische ein Kreuz. Rechts vom Kruzifix steht die Figur der Muttergottes, links die des Johannes. Die Brüder werden beim Betreten des Raums an eine Schlüsselstelle des Evangeliums erinnert: Jesus verbindet am Kreuz seine Mutter und seinen Lieblingsjünger zu einer neuen Gemeinschaft. Die Brüder, die zum Essen hier zusammenkommen, beziehen das auf sich: Sie versammeln sich unter dem Kreuz und machen sich bewusst, dass sie ebenfalls von Jesus zu einer Gemeinschaft verbunden wurden. Jeder einzelne Bruder lebt in der Beziehung zu diesem Jesus am Kreuz. Am Tisch trifft man sich in dem Bewusstsein, dass es nur einen Grund gibt, diese und keine andere Tischgemeinschaft zu sein: Jesus hat jeden persönlich gerufen. Jesus versammelt die Einzelnen in dieser örtlichen Bruderschaft.
Der Speisesaal ist für die Brüder eine Erinnerung an den Saal, in dem das letzte Abendmahl stattfand. Die Holzvertäfelung, die schweren Tische und der Parkettfußboden geben dem Raum eine feierliche Atmosphäre. Das Kreuz an der Stirnwand macht deutlich: Es gibt einen Gastgeber für dieses Essen. Wir erinnern uns täglich daran, dass Jesus seinen Jüngern vor dem Abendmahlsagte: «Mich verlangt danach, dieses Mahl mit euch zu halten.» Und es gibt viele andere Stellen, an denen berichtet wird, dass Jesus mit den unterschiedlichsten Menschen gegessen und getrunken hat. Er hat seine Zeitgenossen geradezu damit geärgert, wie selbstverständlich er dabei soziale Grenzen außer Acht gelassen hat. Das Refektorium ist der Ort, an dem wir uns selbst als eine solche Gruppe von Menschen erkennen, die mit sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten zu einer Tischgemeinschaft versammelt werden.
An den Wänden hängen Bilder von Brüdern aus unserem Orden, die wir als Heilige verehren. Sie erinnern uns daran, dass die Stärkung beim Mahl kein Selbstzweck ist. Wir bekommen die Gaben aus der Schöpfung zu essen, damit wir Kraft sammeln, um im Sinne des Schöpfers zu leben. Die Heiligen begegnen uns auch deswegen hier, weil die Tischgemeinschaft etwas von der Hoffnung hat, die Juden wie auch Christen bewegt: dass Gott nämlich, so verheißen es die großen Visionen der Bibel, am Ende der Tage einmal alle Völker zu einem großen Mahl versammeln wird, sodass niemand mehr zu hungern braucht und Gerechtigkeit und Friede herrschen. Somit ist unser Refektorium mit den Heiligenbildern an der Wand auch ein Hinweis auf die Zukunft: Wir erfahren jetzt schon ein bisschen von dem Himmel, den Gott für alle Menschen ermöglichen wird.
So viele Bedeutungen machen jedes Essen im Kloster zu einer kleinen Feier. Mittags und abends wird vor dem Essen ein Tischgebet gesprochen. Danach wird ein kurzer geistlicher Text vorgelesen. Im Anschluss an das Essen gedenken wir mittags oder abends unserer Verstorbenen, von denen wir hoffen, dass sie am großen Mahl im Himmel schon teilhaben dürfen. Außerdem ist hier auch der Platz, an dem wir uns auf Namenstage, runde Geburtstage oder andere Jubiläen von Brüdern aufmerksam machen.Mir geht es nach 30 Jahren im Kloster mittlerweile so, dass ich nur noch schwer allein essen kann.
Während des Essens reden wir. Die Themen ergeben sich von selbst. Wir sprechen über unsere Erfahrungen bei der Arbeit. Wir tauschen unsere Gedanken zur aktuellen Nachrichtenlage aus. Es ergibt sich auch, dass wir überlegen, was wir in der Gemeinschaft noch tun müssten oder was wir besser lassen sollten. Und manchmal, das sei zugegeben, geht es auch um abwesende Brüder. Ich erwische mich immer wieder dabei, obwohl Franziskus damals schon ermahnte: «Die Brüder sollen in Abwesenheit des Bruders nur das über ihn sagen, was sie ihm in Liebe auch persönlich sagen würden.» Vermutlich wissen die
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