Das Leben Findet Heute Statt
uns geradewegs in die grauenvolle Dopingwelt. Der Berufsradsport kommt nicht mehr aus den Schlagzeilen. Besonders diese Sportart scheint ihre Seele der Manipulation verkauft zu haben und kommt nun nicht mehrdavon los. Die Spitzenleute im Peloton sind davon überzeugt, dass sie ihren Sport nicht ohne verbotene Mittel ausüben können. Und sie fühlen sich dabei unschuldig. Ich kann es sogar ein bisschen verstehen. Denn die Zuschauer wollen Rekorde sehen. Dafür müssen Opfer gebracht werden. So enden die Profis, von der Welt nicht verstanden, als einsame Extremsportler auf dem Scheiterhaufen einer Industrie, in der Trikotwerbung mehr zählt als der Körper, der sie trägt.
Das alles ist, so widerlich es klingen mag, noch harmlos. Noch schlimmer ist es, wenn sich die Körperhasser auf die Operationstische legen. Jetzt treten die Chirurgen auf den Plan, die aus kurzen Nasen längere machen, aus flachen Brüsten prallere und aus prallen Brüsten flachere. Ich gebe zu, dass ich als Mann da vielleicht nicht das richtige Urteil fällen kann: Aber was soll ich einer Frau sagen, deren einziges Problem es ist, dass ihr Busen zu klein ist? Ich muss wohl ziemlich entgeistert geschaut haben, weil sie schnell hinterherschob: «Sie finden wohl, dass dieses Problem lächerlich ist im Vergleich zu all den anderen Sorgen, die Menschen Ihnen anvertrauen?» Nun, ich bin nicht dafür da, anderen zu sagen, ihr Problem sei klein, wenn sie selbst es für groß halten. Unser Gespräch ging aber schon sehr bald dahin, dass ich sie entdecken lassen konnte, wer es geschafft hatte, ihr das Gefühl für den eigenen Körper madig zu machen.
Die Botschafter für unser Leben sitzen nicht in den Modelshows. Die Ratschläge der Illustrierten sind eher Schläge als Rat, wenn sie immer neue Idealmaße für jeden einzelnen Körperteil in die Debatte werfen. Das sind die neuen Dämonen, die einen von überall her anspringen aus einer Welt, die es gar nicht gibt. Dahinter steckt die Sehnsucht nach der Möglichkeit, andere Menschen zu zwingen, uns attraktiv zu finden. Oder gar zu lieben.
Alles Äußerliche aber ist nur eine individuelle Geschmacksfrage.Trotzdem werfen wir uns ins Getümmel derer, die an jedem und an allem etwas auszusetzen haben und ihre eigene Vorstellung über alle anderen erheben. Und dann geht es los: Ein Mann, der auf zierliche Frauen steht, wird für pubertierend gehalten. Frauen nennen die schlanken Geschlechtsgenossinnen spindeldürr. Von einem Mann, der kräftige Frauen mag, sagt man, er bekäme sowieso keine andere ab. Frauen nennen runde Frauen ekelhaft fett.
Eine Bloggerin in einem der zahlreichen Bin-ich-schon-so-wie-ich-sein-soll-Foren bringt es auf den Punkt: «Ich finde diese ewigen Diskussionen nur noch zum Kotzen. … das Schlimmste ist, wie sich schlanke und kräftige Frauen hier gleichzeitig bekriegen (ich erinnere mich an einen Beitrag, der von Urbia nach zirka 140 Antworten geschlossen wurde, weil er nicht mehr zu ertragen war). Ich kapier’ das nicht, gibt es nicht diesen gesunden Mittelweg, einfach mal mit sich zufrieden zu sein, wenn wirklich alles okay ist?»
Bis dahin dauert es wohl noch eine Weile. Jenseits des eigenen Körpers ist es immer am schönsten. Die Verweigerung der Liebe zu sich selbst hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Sie korrespondiert mit der Verweigerung der Liebe zum anderen. Solange ich ein Maß von Zentimetern oder Gramm über mich herrschen lasse, bin ich noch ein Gefangener der Zahlen. Sie faszinieren mich mit der Verheißung, ich könne einen Glückszustand erreichen, in dem diese Zahlen dem angeblichen Ideal entsprechen. Doch genau darin liegt der Denkfehler. Wer sagt denn, dass diese Zahlen für mich richtig sind? Wem glaube ich da, dass er mich unzufrieden machen darf? Sind Menschen Maschinen? Körpermaschinen? Der ganze Ramsch an Ernährungszusätzen und Diätmahlzeiten ist nachgewiesenermaßen wirkungslos. Und trotzdem ist das ein Wachstumsmarkt, derden Menschen das Geld aus der Tasche zieht, und das regelmäßig. Wenn es nicht gleich hilft, vertröstet man sich mit der Acht-Wochen-Frist. Ist die vorbei, hat man schon längst vergessen, was man da erreicht haben wollte. Und dann fängt man wieder von vorn an. So bleibt man als Kunde erhalten und zahlt weiter für einen Traum, anstatt heute zu leben mit dem, was einem von Gott geschenkt ist.
Der Weg aus dem Hass auf den Körper fängt mit der Akzeptanz der eigenen Person an. Man kann es drehen und wenden, wie man will:
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