Das Leben Findet Heute Statt
hat, die auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur stehen. Mehr Männer, aber auch Frauen greifen zu gesundheitsschädlichen muskelaufbauenden Mitteln, manche sogar zu anabolen androgenen Steroiden, also verbotenen Anabolika. Nur wofür, darüber rätselt man noch.
Vielleicht deshalb: «In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist.» Leider wird diese Formel immer falsch zitiert. Der römische Dichter Juvenal kam vielmehr in seiner zehnten Satire zu einem bemerkenswerten Schluss, der mit besagtem Zitat endet. Zunächst schreibt er, dass es sich nicht lohne, um Geld, Ruhm oder ein langes Leben zu beten. Und dann meint er, das Einzige, was man von den Göttern erbitten solle, sei, dass «in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohne». Das Zitat hat keinen Bezug zum Thema Sport. Turnvater Jahn hat es aus dem Zusammenhang gerissen. Es fordert nicht zum Sport auf: Damit der Geist gesund bleibt, treibe man Sport. Und es kritisiert auch nicht übertriebenen sportlichen Ehrgeiz: Ein gesunderKörper weist auf einen gesunden Geist hin. Stattdessen formulierte der römische Denker brillant, dass Gesundheit und Geist Grundlagen des menschlichen Lebens seien, die eher auf das Heute verweisen als auf das Morgen. Sie sind ein Geschenk, das wir nutzen können. Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten.
Da stoßen wir an Grenzen. Das ist normal. Das gehört zum Menschsein. Wenn wir diese Grenzen nicht akzeptieren, fallen wir auf die Vertröstungen auf den besseren, leichteren oder gesünderen Körper herein. Den werden wir angeblich haben, wenn wir uns auf die Angebote der Körperquäler einlassen. Sie verstehen das Gesundheits- und Wellness-Handwerk, sodass es uns den Schmerz heute ertragen lässt – mit dem Hinweis auf ein Morgen, wenn aller Schweiß belohnt werden soll. Einwände der Vernunft, das alles müsse doch ein Ziel haben, welches mit dem Wesen des Menschen in Einklang stehe, werden abgetan mit dem Killersatz: «Ich kann mit mir machen, was ich will.» Auch dann, wenn du dich dabei zugrunde richtest? Längst ist nicht alles ethisch vertretbar, was man kann. Der Körper rächt sich, wenn wir ihn irgendwie dahin verbiegen wollen, wie er einfach nicht sein kann. Und nicht sein will.
Besser lebt es sich, wenn wir uns so annehmen, wie wir geschaffen sind. Der Mensch ist nicht nur ein Geisteswesen. Er ist in seinen Leib hineingeboren worden. Wir dürfen unseren Körper nicht für Ziele missbrauchen, die unserem Geist zuwiderlaufen. Wir sind unser Leib. In ihm drückt sich unser Personsein aus. Und keiner hat das Recht, der Person vorzuschreiben, wie dieser Körper zu sein hat. Im Licht dieser Wahrheit sind alle Ausmalungen eines Himmels mit Idealgewicht und Waschbrettbauch Anleitungen zur Verbiegung der eigenen Persönlichkeit.
Unser Ordensgründer hat sich am Ende seines Lebens bei seinem Leib entschuldigt. Er hatte ihn zeit seines Lebens im Orden kasteit, um, wie er mit seinen Zeitgenossen dachte, der Seele besseren Spielraum zu geben. Er geißelte seinen Körper. Er aß zu wenig. Er trank kaum. Mit dieser Art von Selbstquälerei sollte der Körper gefügig gemacht werden, sodass er die Seele nicht störe, die den Menschen für das Jenseits vorzubereiten hatte. Mit der Züchtigung des Körpers sollte hier schon der Schmerz abgebüßt werden, der die Seele im Jenseits als Strafe erwartete. Die Schönheit des Himmels war Aussicht genug, sich hier und jetzt einzuschränken. Aber wie gesagt, Franziskus hat sich bei seinem Körper entschuldigt …
Die Folterinstrumente der Gesundheitsindustrie stehen in ihrer Brutalität den Geißeln des Mittelalters in nichts nach. Nur geht es heute nicht um das Ziel, Sünden zu verbüßen, um bei Gott Vollendung zu erlangen. Eher möchte man die Strafe gesellschaftlicher Ächtung vermeiden, die, so stellt man sich vor, die Folge eines Doppelkinns, einer Glatze oder eines Hängebauchs sei. Und man möchte vor allem der höchsten Strafe entgehen, die das Leben kennt: dem Tod. Dann straft man sich doch lieber mit einer monatlichen Ablassgebühr fürs Fitnessstudio von fast 100 Euro, um sich einreden zu können, man habe immerhin den guten Willen zur Besserung gehabt. Ich kenne viele Leute, die nur ihren Beitritt bezahlen, aber nie trainieren gehen. Ist ja auch egal. Der Tod kommt immer. Und er kommt immer zu früh.
Die Verachtung des Körpers im Namen einer Vertröstung auf die späteren besseren Phasen mit höheren Leistungen und einer grenzenlosen Anerkennung führt
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