Das Leben Findet Heute Statt
Deutschland alles dafür tun, dass der Jugend flächendeckend Religionsunterricht erteilt wird. Bevor der Geist auf den Kopf gestellt wird, muss er erst einmal da sein – um Marx zu zitieren, der meinte, er habe die Philosophie Hegels auf den Kopf gestellt.
Gott ist nicht eine Art Fellkleid aus einer früheren Stufe des Menschseins. Ich habe erfahren, wie anziehend er ist, und das in der doppelten Bedeutung des Worts: Wer sich von Gott umhüllt weiß, kann nicht mehr beschämt werden, er ist immer gut angezogen. Und: Wer von Gott umhüllt wird, wird wie magisch von ihm angezogen in den Dingen, die sich im Leben heute ereignen.
Märchen und Fantasyfilme drehen sich oft um das richtige Gewand, den Zauberumhang oder auch nur die passenden Schuhe. Sie sollen Schutz und übernatürliche Kraft verleihen. SolchePhantasien entspringen ja nicht dem Nichts; sie umschreiben die Urwahrheit, dass uns Menschen eine Kraft umhüllt, die uns gegen die Mode aufstehen lassen kann, auch gegen scheinbar noch so widerwärtige Mächte. Wir sind unbesiegbar, wenn wir wissen, was uns kleidet: die Sorge Gottes um uns. Nicht umsonst haben die Christen in Rom den Herrscher zur Weißglut gebracht, der sich «unbesiegbarer Sonnengott» nannte. An seinem Staatsfeiertag wollten sie lieber einer anderen Art von Unbesiegbarkeit huldigen und feierten die Geburt Jesu.
Die Jünger Jesu haben durch Jesus eine einzigartige Kraft erfahren, die ihnen nicht wirklich fremd vorkam. Jesus lebte aus, was in jedem Menschen steckt. Das muss so unmittelbar erfahrbar gewesen sein, dass häufig das Wort «euthys» im griechischen Text des Evangeliums steht: sofort. Man könnte auch sagen: heute. Sofort, so heißt es in den Berufungsgeschichten, ließen Männer und Frauen alles liegen. So sehr waren sie von Jesus für die Gegenwart befreit worden.
Jesus war mit Gottes Kraft ein Mensch, wie ein Mensch sein soll. Die Christen sagen: Er war der Mensch. Er hing nicht übergeordneten Gedanken nach, um dann die Mitmenschen daran auszurichten. Er ließ sich nicht als Anführer gesellschaftlicher Utopien missbrauchen. Er schritt durch Menschenmengen, die auf ihn wütend waren; er entzog sich aber auch enthusiastischem Jubel. Selbst im Spottumhang vor seinen Henkern wurde er als König wahrgenommen, den etwas anzieht – in der doppelten Bedeutung des Worts –, was ihm keine Geißelung und kein Bespucktwerden entreißen kann. Das lässt ihn alles mit einer Würde tragen, die ihn unangreifbar macht.
Diese Autorität braucht kein Zepter und keine Krone. Sie ist hellwach für die Wahrheit des Augenblicks. Sie lebt von dem Glauben, dass die eigene Würde, von Gott geschenkt, so oderso mithilft, zur Wahrheit vorzudringen. Jesus antwortet auf die Frage des ängstlichen Pilatus, ob er der König der Juden sei: «Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege» . (Joh 18,37). Kurz danach legen ihm Soldaten zum Spott einen purpurnen Mantel um und setzen ihm eine Dornenkrone auf, grüßen ihn hämisch als König der Juden und bespucken ihn. Sie bleiben namenlos. Doch kein anderer Name wird so oft auf der Erde genannt wie der Name Jesus. Das christliche Abendland hat seine Wurzeln in dieser Erscheinung des Gottessohns auf Erden: Und wenn wir tausendmal die vergangenen Jahrhunderte aufgrund dessen kritisieren müssen, was sie daraus gemacht haben – Jesus ist so original und lebendig von Gott, dass er heute noch frisch aus allen Gräbern aufersteht, die man ihm graben will.
Ein agiler Professor für Design sagte mir im Brustton der Überzeugung, dass das doch alles Quatsch sei, das mit dem Glauben. Er sei mit seiner Frau letztens noch in einer Kunstbuchhandlung gewesen und habe ihr mit Blick auf die dort angebotenen Kreuze gesagt: «Guck mal, das hängen sich Leute heute noch in die Wohnung.» Als ich ihm entgegnete, er habe eben nur keine Ahnung von dem, was sich dahinter verberge, verband ich das mit der Einladung in einen Glaubenskurs. In dessen Verlauf wurde er – warum gerade er und manche andere in dem Kurs nicht, bleibt wie immer Gottes Geheimnis – von Gott so berührt, dass ihm klar wurde, was wirklich Sache ist in allen Dingen dieser Welt.
Das Christentum beginnt mit den ersten Christen, die sich taufen ließen. Sie glaubten, dass Gott diesen Jesus nicht hat untergehen lassen. Ihr Bekenntnis: «Er ist auferstanden!», eröffnete ihnen die Möglichkeit, die Lebensauffassung und den
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