Das Leben Findet Heute Statt
Gemeinschaft. Wo niemand etwas sein Eigen nennt, entsteht eine Verbundenheit, die nicht von Geld bestimmt ist. Weil niemand sagen kann: Ich kaufe euch jetzt mal etwas! Oder: Ich schenke euch etwas! Es gibt unter uns auch kein Oben und Unten, das durch Geld definiert ist. Franziskus lehrt uns bis heute, dass das Materielle die Beziehungen unter den Menschen zerstören kann. Dann steht nämlich plötzlich nicht mehr der Mitmensch im Mittelpunkt, der mir zum Leben hilft. Ich fühle mich frei und unabhängig und nehme den Besitz zum Anlass, auf andere herunterzuschauen. Auch wenn Geld zwar eigentlich ein Kommunikationsmittel ist, das den Güteraustausch in der Gesellschaft erleichtern soll, erfüllt es diesen Zweck nurbedingt. Mittlerweile dient es auch dazu, Besitz weit über den Eigenbedarf hinaus anzusammeln. So viel Wohnfläche oder so viele PS im Auto kann man gar nicht ausnutzen, wie manche sich davon leisten. Geld und Besitz dienen uns nicht mehr. Geld und Besitz sollen uns auszeichnen. Darum träumen viel zu viele davon, was wäre, wenn sie Geld hätten. Sie stellen sich vor, dass sie dann erst richtig leben könnten. Als Minderbruder kann ich darüber nur lachen. Richtig zu leben ist keine Geldfrage. So beruhigend es sein mag, keine Geldsorgen zu haben. Aber mit dem Geld kommen erst die wirklichen Sorgen.
Die Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte sind ein Zeichen dafür, wie brüchig die Beziehungen der Menschen untereinander geworden sind. Vertrauen schwindet, wo jeder möglichst billig an den Besitz anderer kommen will und auch bereit ist, dafür dem Kreditberater das Blaue vom Himmel herunterzulügen. Und der wird an seine Kollegen bei der nächsten Bank genau diese Lüge weitergeben. Eine riesige Blase entsteht. Und was passiert, wenn die platzt, haben wir alle in der Finanzkrise 2008 gesehen.
Mittlerweile ist die Raffkementalität von Managern, die allein darauf schauen, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen können, anrüchig genug geworden. Milliardengewinne auf der einen Seite, Massenentlassungen auf der anderen Seite: Wir spüren, dass in unserem Land irgendetwas schiefläuft. Das Grundgesetz geht von der Verpflichtung aus, die jeder Mensch hat. Er soll dem Gemeinwohl dienen. Eigentum verpflichtet. Da ist der Blick aufs Ganze noch zu spüren. Die Rede von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Staatsgrundlage erscheint da noch sinnvoll. Mittlerweile aber schwebt keinem mehr eine Gesellschaft von Gleichen als Vision vor Augen. Jeder hat, so scheint es, nur das Eigenwohl im Blick. Wir leben zwar in einem Rechtsstaat mit Gesetzen, aber muss die jeder so ausschöpfen,dass er auch noch den letzten Cent für seine Pension herausholt?
Unser Beamtenrecht aus preußischer Zeit muss einem Besoldungsrecht weichen, dem eine Arbeitspflicht gegenübergestellt wird. Unser Kapitalrecht, das noch davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer mit seiner Hände Arbeit am meisten erwirtschaftet, ist unzeitgemäß. Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass man seitens der Nutznießer dieser überholten Systeme an notwendigen Erneuerungen nicht interessiert ist. Wer meldet denn schon dem Kassierer, dass er sich zu unserem Vorteil verrechnet hat?
Es dürfte nicht sein, dass in Deutschland Kapitalgewinne nicht für kommunale Aufgaben versteuert werden müssen. Da machen Banken zeitweise satte Gewinne, mit denen weder Straßenbahn noch Freizeiteinrichtungen vor Ort bezahlt werden. Wir bringen die Obdachlosen mit dem Geld unter, das der Maurer erwirtschaftet hat. Unsere Schulgebäude werden mit den Steuern aus dem Mittelstand erhalten. An den Kleinen bleibt die Finanzierung der Grundaufgaben des Staates hängen; die Großen lässt man laufen, nach Liechtenstein, Luxemburg und in sonstige Paradiese der Steuerfreiheit.
Die franziskanische Brüderlichkeit ist weit mehr als bloße Solidarität. Die Brüder fühlen sich dem Gemeinwohl nicht allein deswegen verpflichtet, weil sie alle gleich sind. Dahinter steckt mehr. Das muss man nur sehen können.
Die hohen Zäune, mit denen sich die Reichen umgeben müssen, verstellen ihnen den Blick auf den armen Nachbarn. Das eigene Sicherheitsbedürfnis wird zur Quelle der Verunsicherung für die anderen. Brüderlichkeit heißt, zuerst nach oben zu blicken. Sie weiß sich von Gott verpflichtet, dem Vater aller Menschen. Als Franziskus Gott immer mehr Raum in seinem Lebengab, wurde er stark genug, die gesellschaftlichen Schranken, die durch den Besitz markiert werden, zu
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