Das Leben Findet Heute Statt
Sie werden in jeden Menschen eingegossen. Jeder kann sie vorfinden. Wenn er demütig genug ist, sie anzunehmen.
Wer glaubt, setzt seine Hoffnung nicht gnadenlos und allein auf das eigene Vermögen. Er begegnet Gott und der Welt mit einer Liebe, der es schlicht zuwider ist, Schöpfer und Geschöpf zum Sklaven der eigenen Bedürfnisse zu machen. Wer glaubt, nimmt die kleinen Dinge des Alltags ernst. Wie schrecklich, wenn man allem, was man erlebt, mit der Haltung begegnet: Es könnte ja noch was Besseres kommen. Wie erleichtert ist man,wenn man weiß: Das Beste offenbart sich hier und jetzt in dem, was wir Maßlosen viel zu oft geringschätzen. Im wenigen können wir die Fülle empfangen. Wir müssen nicht ganz satt werden. Weniger ist oft mehr, weil es uns richtig zu schmecken lehrt und wir uns dazu nicht noch den Magen verderben.
Wir müssen auch nicht vollkommen lieben. In der Liebe, wie sie zwischen zwei Menschen möglich ist, spiegelt sich eine Liebe, die beide Stück für Stück aufeinander zuführt, allerdings nie ganz.
Unser Leben muss nicht total toll sein. Es genügen die wenigen Augenblicke, in denen aufblitzt, dass Gottes Verheißung an uns nicht ohne Grund ist. Die werden uns tragen. Einst wird er uns großzügig vollenden.
Wer zum rechten Maß finden will, muss sich entschließen, ein Mensch mit Moral zu sein. Wo sie fehlt, da erschöpfen sich alle Kräfte in Maßlosigkeit. «Das Maß ist das Erhaltende in der Natur wie im Leben», meint Wilhelmine von Hillern. Der Maßvolle ist bescheiden. Seine Augen nehmen weniger wahr, was man einheimsen könnte, sondern erkennen vielmehr, was dem anderen fehlt. Die Maßvollen öffnen einander die Vorratskammer. Sie halten nicht an dem Wahnsinn fest, alles für sich und für morgen behalten zu müssen. Sie gönnen einander etwas. Sie leben nicht für morgen. Sie freuen sich täglich am Heute.
15. Die Ökonomie
«Wenn ich Geld hätte …» Oder: Abhängigkeiten annehmen
In einem Kapuzinerkloster wird keine Landwirtschaft betrieben. Ökonomiegebäude wie in einer großen Abtei mit Ställen und Werkstätten werden Sie hier vergeblich suchen. Die wirtschaftlich und finanziell relevanten Dinge werden bei uns in einem ganz kleinen Büro, in dem der Bruder Ökonom einige Stunden im Monat die Buchführung des Klosters macht, erledigt. Wir sind kein eigenständiges kleines Unternehmen, sondern auch nur Teil des großen Ganzen. Das Monatsergebnis sendet der Klosterökonom an die Verwaltungsstelle unserer Ordensprovinz. Dort arbeitet fast in Vollzeit ein Provinzökonom. Er führt die einzelnen Meldungen zusammen und hat auf diese Weise einen Überblick darüber, wie es um den Orden finanziell bestellt ist. Die einzelnen Brüder verfügen nicht über ein eigenes Sparkonto. Einige haben aufgrund ihrer Tätigkeit eine Scheckkarte, mit der sie auf das Gemeinschaftskonto zugreifen können. Aber jeder muss Rechenschaft darüber ablegen, was er ausgibt. Mit dem Bargeld verhält es sich ähnlich. Jeder Bruder hat einen Betrag in der Tasche, der es ihm ermöglicht, die kleinen, alltäglichen Ausgaben zu tätigen. Für Beträge ab etwa fünf Euro versuchen wir immer, eine Quittung oder einen Kassenbon zu erhalten. Wenn das Bargeld im Portemonnaie langsam ausgeht, gehen wir zum Ökonomen, der uns dann gegen Vorlage der Quittungen den Betrag erstattet.
Leicht ist dieser Weg nicht. Die Abhängigkeit von der Gemeinschaft belastet auch die Seele. Schließlich gehört es doch zu den Eigenschaften des Menschen, auf der Grundsäule «Kapital» stehen zu wollen. Die franziskanische Armut greift da schon sehr tief ins menschliche Leben ein. Ich persönlich habe damit fast mehr Schwierigkeiten als mit den anderen Gelübden wie dem der Ehelosigkeit oder dem des Gehorsams. Wenn man so gar nichts sein Eigen nennen kann, geht das an die Substanz. Was immer ich nutze, steht mir zur Verfügung, aber ich kann darüber nicht nach meinem alleinigen Willen bestimmen. Ich muss immer wieder fragen.
Genau an diesem Muss entscheidet sich die Frage, ob man den Schritt zur Freiheit wirklich geschafft hat. Die freiwillig gewählte Armut ist ja kein Selbstzweck. Wir versprechen sie, weil wir von Franziskus, unserem Ordensgründer, gelernt haben, dass wir so die anderen Werte des Lebens besser pflegen können. Wer nicht mehr auf eine fundamentale Größe wie den eigenen Besitz bauen kann, der muss sehen, dass er woanders Halt findet. Da ist zunächst der Halt im Gebet. Dann aber auch der Halt in der
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