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Das Leben Findet Heute Statt

Das Leben Findet Heute Statt

Titel: Das Leben Findet Heute Statt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruder Paulus Terwitte
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das Leben nicht in der Hand haben. Wir werden aus der Bahn geworfen. Es kommt die große Liebe meines Lebens. Ein Kind kündigt sich an. Ein Elternteil wird pflegebedürftig. Die Nachbarinbraucht Unterstützung. Eine politische Aktion braucht mein Know-how. Das alles kann mir passieren.
    Wehe dem, der sich vielleicht nur so gerade aus seinen Abläufen herausreißen lässt – die Werbung für Engagement sucht immer neue Wege, wenigstens eine entsprechende Schrecksekunde zu erzeugen   –, um dann aber verstört wieder ins Hamsterrad zurückzuspringen: Wir haben ja genug mit uns selbst zu tun. Unsere Klosterbesichtigung macht Ihnen vielleicht Lust, einen solchen Ausstieg – zumindest zeitweise – zu versuchen. Ein Interessent, der das auch wollte und Inhaber einer großen Firma ist, erkundigte sich bei uns nach den Bedingungen dafür. Als ich dann sagte: «Könnten Sie dann in vier Monaten kommen?», schaute er mich entgeistert an: Nein, er wolle sich das für später aufheben. Im Moment habe er noch zu viel zu tun, na, Sie wissen schon. Selbst, als ich ihm sagte, er könne doch auch krank werden, und dann würde er sich sofort sechs Wochen freinehmen, konnte ich ihn nicht überzeugen.
    Nur wenn es wirklich so weit kommt und der Tod sich nicht auf schönen Schildern an Standuhren oder gruseligen Grüften in Erinnerung bringt, sondern auf der Intensivstation im Krankenhaus, wird plötzlich möglich, was sonst unmöglich erschien. Dann haben Sie mehr mit sich selbst zu tun, als Ihnen lieb ist. Bei manchen fruchtet eine Auszeit. Bestes Anzeichen dafür ist der Satz, den Freunde und Angehörige immer wieder hören: Das Leben ist ein Geschenk, und wir sind nur Gast auf einem geliehenen Gut, mit dem wir sorgfältig umgehen müssen. Es fängt alles jeden Tag ganz neu für jeden an. Jeder Tag bringt eine neue Chance zum Leben.

18.   Das Krankenzimmer
    «Hauptsache gesund.» Oder: Schwester Krankheit
    Zu einem Kloster gehört auch ein Krankenzimmer. Charakteristisch dafür ist die Lage. Es ist der Raum, der sich an die Kirche anschließt. So hat der Kranke einen Blick auf den Altar. In manchen Häusern ist das wegen der Dicke der Kirchenwände nur eine Art Gucklochkanal. Hier bei uns sehen Sie aber richtige Fenster. So nimmt der Kranke am Gebet der Brüder teil. Er kann die heilige Messe mitfeiern. Da wir direkt hinter der Kirche unseren Gebetsraum haben, vermag er auch das Stundengebet der Brüder zu verfolgen. Auf diese Weise bleibt er eingebunden in das Leben der Gemeinschaft.
    Sein Platz ist beim Mittagstisch frei, bis der hoffentlich wieder Gesunde am gemeinsamen Essen teilnehmen kann. So erinnert sich die Gemeinschaft daran, dass es einem von ihnen nicht so gut geht. Er fehlt ja auch bei den Gebetszeiten. Seine Arbeit bleibt liegen. Eine Klostergemeinschaft erfährt unmittelbar, dass Krankheit niemals eine Privatsache ist. Wenn einer krank ist, krankt das ganze Miteinander.
    Wir Brüder rechnen mit Krankheit. Sie gehört zum Leben. Franziskus spricht im Sonnengesang vom Leiden: «Selig, die Krankheit und Trübsal ertragen!» Es gibt keinen Menschen, den kein Siechtum ereilen könnte. Unterschiede bestehen unter den Menschen auf der Welt nur in den Möglichkeiten der medizinischen Versorgung.
    Krankheiten gehören nicht nur zur menschlichen Natur, ein Leben ohne Behinderung gibt es nicht. Früher oder später ist jeder durch etwas eingeschränkt. Dann bedarf er der aufrichtigen Hilfe. Für die Helfenden ist der beste Maßstab für ihre Unterstützung der Wunsch, nicht alleingelassen zu werden, wenn es einen selbst erwischt. Franziskus schreibt in seiner Ordensregel: «Und wenn einer von den Brüdern schwer krank werden sollte, dann müssen die anderen Brüder ihm so dienen, wie sie selbst bedient sein wollten.»
    Diese Selbstverständlichkeit, mit der Krankheit erwartet wird, und auch der Tod sind unserer Gesellschaft erschreckend fremd geworden. Jedes Mal schlägt es wie ein Blitz ein, wenn in der Familie oder im Kollegenkreis jemand erkrankt. Denn plötzlich ist wieder da, was man erfolgreich verdrängt hat: nämlich dass das Leben endlich ist. Wir sind nicht Gott. Wir müssen heute leben. Morgen könnte es schon zu spät sein.
    Wir wollen aber offensichtlich nicht gegenwärtig leben. Deswegen missachten wir die Kranken. Sie haben gefälligst bald wieder auf den Beinen zu sein. Wir bedrängen sie, schnellstmöglich wieder zu funktionieren. In meiner Zeit als Krankenhausseelsorger habe ich erlebt, dass Depressive

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