Das Leben in 38 Tagen
gelb,
dazwischen lila, rote und weiße Blüten, ein richtiges Feldblumenmeer! Ich
setzte mich auf eine Anhöhe und genoss noch einmal den Blick auf die Stadt mit
ihren Mauern und Türmen, dem grünen Rahmen darum und dem wolkenlos blauen
Himmel darüber. Heute war es einfach herrlich. Heidekraut oder Thymian
dufteten, Vögel zwitscherten und Kuckucksrufe erklangen. Ich vermisste nur die
Schmetterlinge, die Hape Kerkeling als Wegweiser
gedient hatten. Ob es Anfang Mai noch zu früh dafür war?
Die
schöne, aber karge Landschaft, durch die ich jetzt lief, trug sogar einen
besonderen Namen, die Maragateria . Ihre Bewohner, die Maragatos , waren früher hauptsächlich als Fuhrleute
unterwegs gewesen und pflegen noch heute ihre eigenen Traditionen. Auch die
Häuser sahen hier anders aus; rote Steinhäuser mit grünen Fenstern und Türen,
die scheinbar genau zur Landschaft passten.
Je
höher es jedoch hinaufging, desto ärmlicher wurden die Dörfer. Abgesehen von
einigen kleinen Bars gab es kaum noch Leben in den Orten. Auch die Farbe der
Häuser wurde wieder grau. Traurig blickten mich nun die Fensterhöhlen
verfallender Häuser an, deren lose Steine manchmal wie zum Trotz oder aus
Mitleid von der Natur mit grünem Gras und leuchtend blauem Vergissmeinnicht
geschmückt waren. Hinter den Ruinen blühten lila und weiß Flieder- und
Apfelbäume. Ein Bild, das man nicht vergessen kann.
Nun
befand ich mich schon über tausend Meter hoch, höher, als der höchste Berg der
Rhön ist, und es ging immer weiter bergauf. Vor mir lag der höchste Punkt des
Jakobsweges mit 1517 Metern. Dort auf der Bergkuppe sollte das berühmte
Steinkreuz stehen, wo man einen Stein als Sinnbild für seine Sorgen ablegen
konnte. Ich war sehr gespannt darauf, entschloss mich aber, diesen steilsten
Teil der Strecke erst morgen zu gehen. Schließlich gab es dort oben nur eine
Herberge ohne fließendes Wasser, die nicht sehr gelobt wurde.
Nach
etwas über zwanzig Kilometern Fußmarsch landete ich in dem kleinen Bergdorf Rabanal
del Camino, das aus der Not eine Tugend gemacht hatte und gleich drei
Pilgerherbergen sowie einige Restaurants mit Privatunterkünften bot. Ich
entschied mich für die Herberge im alten Pfarrhaus gegenüber der Kirche und
neben einem angeblich neuen Kloster. Hier sollten täglich Andachten und Messen
stattfinden und heute war ja Sonntag!
Vor
der Herberge stand schon eine Menge Pilger und wartete auf Einlass. Es hatte
sich herumgesprochen, dass diese von einer englischen Bruderschaft betreute
Herberge sehr pilgerfreundlich war, und so beschloss ich, ebenfalls hier zu
warten. Wir standen im Schatten eines riesigen alten Maronibaumes ,
als ich zu meiner Freude plötzlich Chris mit seinem Cowboyhut entdeckte. Er saß
auf einem Stein und schrieb gerade in sein Tagebuch, was er immer ganz
konzentriert tat, und dabei wollte ich ihn nicht stören.
Pünktlich
um 14.30 Uhr öffnete sich die Tür und streng limitiert wurden die ersten zehn
Pilger hineingelassen. Noch weitere zehn Pilger durften warten und zum Glück
waren Chris und ich dabei. In dieser Herberge ging offensichtlich alles etwas
langsamer, aber dafür umso herzlicher. Zwei ältere englische Frauen begrüßten
uns und wiesen uns ein. Allerdings folgte nun ein Anstehen an den Duschen, was
mir gar nicht gefiel. So beschloss ich, zunächst einen Kaffee trinken zu gehen,
und trat gleich wieder hinaus auf die heiße, steile Dorfstraße.
Und
plötzlich hörte ich deutsche Worte die enge Straße hinunterschallen! Vor der
kleinen Bar standen zwei Männer im mittleren Alter und unterhielten sich
lautstark. Wie groß aber war meine Überraschung, als sich herausstellte, wem
ich hier begegnete! Es war Dr. Raimund Joos, der Autor meines kleinen
Pilgerführers höchstpersönlich! Was für ein wunderbarer Zufall! Warum hatte ich
mich vorhin nur über das Warten auf die Dusche geärgert? War es nicht viel
interessanter, den Mann kennen zu lernen, der mir so viele gute Tipps gegeben
hatte? Raimund stellte sich als sympathischer, aufgeschlossener Zeitgenosse
heraus, der sich sehr interessiert an meiner Meinung über seinen Pilgerführer
zeigte. Die Freude war groß, endlich mal ein Feedback von Pilgern zu erhalten.
Ich sei die Erste, die er getroffen hatte, die seinen Pilgerführer auch dabei
hatte, sagte er. Wir lachten und erzählten, bis seine Gruppe, auf die er
wartete, in Sichtweite kam. Raimund verdiente nun sein Geld als Reiseführer und
betreute gerade eine deutsche Busreisegruppe,
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