Das Leben in 38 Tagen
wiederum nicht den Spaß verderben wollte und auch gern in ihrer Gesellschaft
war, suchte ich mit ihr ein geeignetes Restaurant. Beim Umherstreifen lief uns
dann Achim über den Weg. Er wollte sich uns unbedingt anschließen und so
kehrten wir drei schließlich in einer kleinen, abgelegenen Gaststätte ein. Aghi erklärte nun dem Wirt ganz genau ihre Bestellung und
dieser wuselte daraufhin zusammen mit seiner Familie ständig um uns herum, um
alle Wünsche zu erfüllen. Im Moment waren wir noch die einzigen Gäste.
Als Aghi mir dann erläuterte, woraus die landestypische
Spezialität bestand, bereute ich schon wieder, mitgegangen zu sein. Nach der
fetten Hühnervorsuppe gab es eine Platte mit viel fettem Fleisch, ähnlich dem
deutschen Eisbein, dazu ein Gemüse aus mehreren Hülsenfrüchten und eine Art
Sauerkraut, was bei mir keine große Freude weckte. Wenigstens war der Wein gut
und so aß ich viel Weißbrot und kostete von allem ein bisschen. Achim und Aghi schmeckte es dafür umso besser und ich staunte, was
die schlanke Aghi so alles wegputzte. Sie ließ sich
sogar noch einmal nachfüllen. Ich hätte mich lieber allein mit ihr unterhalten,
aber Achim nahm Aghi voll in Beschlag und drängte ihr
sein Gespräch auf. Ihr schien es nicht unangenehm zu sein, wie sie ihm
offensichtlich imponierte, und sie besaß ja auch eine besondere Gabe, andere
Menschen mit ihrer ausdrucksreichen Mimik und Gestik in ihren Bann zu ziehen.
Das musste ich einfach neidlos anerkennen.
„Wir
sind vorgestern in León um Mitternacht noch einmal bis zur Kathedrale
gegangen“, erzählte sie, „und stellt euch vor, plötzlich kamen fünfzehn Störche
zugleich unter dem dunklen Nachthimmel herangeflogen und landeten auf den
verschiedenen Türmen der hell beleuchteten Kathedrale! Alle Menschen, die dort
standen, waren total überrascht und begeistert! Es war so eine mystische und
zauberhafte Atmosphäre!“
Das
hätte ich auch gern erlebt, aber bei Aghi passierten
laufend solche geheimnisvollen und wunderbaren Dinge. Ich fand, dass das
irgendwie zu ihrer rumänischen Herkunft passte. Mit den langen schwarzen
Haaren, den dunkelbraunen leuchtenden Augen, ihrer lebhaften Art sowie der für
einen Pilger hervorstechenden bunten Kleidung schien auch ein bisschen
Zigeunerblut in ihr zu pulsieren. Auf Achims Frage erzählte sie, dass sie
selbstständig sei, in Toulouse lebe und als freier Mitarbeiter für ein
Wetterstudio arbeiten würde. Sie brauche die freie Zeit, um wieder aufzutanken
und die Nähe zu Gott zu suchen. Deshalb lief sie den Weg auch schon das dritte
Mal.
Aghi erzählte uns noch, dass sich
im Bischofspalast in Astorga ein sehr interessantes Museum über den Jakobsweg
befinden sollte, das wir uns unbedingt ansehen müssten. Leider gab es auch hier
das Problem mit den Öffnungszeiten. Museen, Kathedralen sowie die meisten
Geschäfte und Bars öffneten nicht vor 10.00 Uhr. Die Pilger mussten aber die
Herbergen schon um 08.00 Uhr verlassen. Wenn man nicht zu viel Zeit verlieren
wollte, zog man wohl eher etwas früher als zu spät los. Also kam das für mich
wieder einmal nicht in Frage. Am besten, man lief den Weg wirklich mehrmals
oder mit viel Zeit, um alles sehen zu können...
Nach
einem schönen Abend brachten Achim und ich die Französin noch in ihre Herberge
und wir verabschiedeten uns einmal mehr voneinander. „Buen camino, see you later , alligator !“ Von meinem Bett im Dachgeschoss konnte
ich direkt in den Sternenhimmel sehen; es war die Milchstraße, welcher der
Camino folgte. Flüsternd machte mich Elke im Nachbarbett darauf aufmerksam und mit einem
beschützten und dankbaren Gefühl schlief ich ein.
Mein
dritter Sonntagmorgen auf dem Camino empfing uns mit strahlendem Sonnenschein
durch das Dachfenster. In freudiger Erwartung des prophezeiten reichhaltigen
Frühstücks lief ich ins Untergeschoss des „Pilgerhotels“ und sah ein kleines
Buffet aufgebaut. Die meisten Pilger hatten schon gefrühstückt. Achim und Elke
aber saßen noch am Tisch und wir ließen uns Marmeladenbrot, Joghurt, Kaffee und
Orangensaft gut schmecken. Eben hatte ich auch noch Chris am Computer sitzen
sehen, wir hatten uns kurz zugewinkt, aber als ich dann endlich aufbrechen
wollte, war er leider schon gegangen.
So
lief eben jeder wieder seinen eigenen Weg in einen neuen spannenden Tag...
Kurz
hinter Astorga begannen die Berge mit einer stetig ansteigenden Hügellandschaft,
die mich wieder einmal an die Rhön erinnerte. Der Ginster blühte
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