Das Leben in 38 Tagen
mit dem reichen Maß an
Blüten, Düften und einsamer Weite zu begrüßen. Am liebsten wäre ich stundenlang
hier oben geblieben, hätte mich in den weichen Heidekrautteppich gelegt und
geschlafen. Dabei streiften mich wieder einmal Gedanken an meinen Vater, dem es
hier bestimmt genauso gut gefallen hätte, während ich gleichzeitig hoffte, dass
er mich vom Himmel aus wohlwollend beobachten würde. Zum Glück hatte er wenigstens
einmal in seinem Leben in Spanien Urlaub machen können und mir fiel ein, wie er
damals von einem Ausflug in die Pyrenäen geschwärmt hatte!
Plötzlich
musste ich eine Landstraße überqueren, und ehe der Weg weiterführte, warnte ein
Schild die Radfahrer, diesen zu benutzen. Starkes Gefälle, Steine und Geröll
wurden angezeigt. Ich fand sowieso, dass die schönsten Strecken des Camino
nicht für Radfahrer geeignet waren, aber nun wurde es wirklich extrem. Wie
leicht konnte man sich auf diesen stark kullernden Steinen und den
ausgewaschenen steilen Rinnen den Fuß verstauchen! Auf keinen Fall wollte ich
noch einmal so einen Sturz riskieren, denn die schillernden Farben in meinem
Gesicht waren gerade erst verblasst. Vorsichtig und dementsprechend langsam
erreichte ich El Acebo, ein kleines Bergdorf, dessen
einstmals schöne Häuser mit vielen Holzbalkonen an der einzigen schmalen und
steilen Straße klebten. Etwa in der Mitte der Straße und damit auch des Dorfes
stand ein kleiner Tränkebrunnen mit ein paar Bänken.
Hier wartete Raimund mit einem Kleintransporter und grinste mich fröhlich an.
„Willst
du was zu essen?“, fragte er und deutete auf die Lunchpakete im geöffneten
Auto. „Es ist genug übrig und meine Leute brauchen wohl noch eine Weile! Hast
du jemanden von meiner Truppe gesehen?“ Ich verneinte beides. Komischerweise
hatte ich unterwegs sehr wenige Pilger getroffen. Wahrscheinlich hatten auch
einige die Straße gewählt. Die war zwar etwas länger, aber nicht so schwierig
zu gehen. Mein Blick fiel auf eine Bar gegenüber, und da ich einen Kaffee
trinken wollte, verabschiedete ich mich von dem freundlichen Reiseführer. „Wir
sehen uns bestimmt noch, buen camino!“, winkte Raimund und ich gab zurück:
„Buen camino und viel Spaß mit deinen Pseudopilgern!“
In
der Bar erwartete mich die nächste Überraschung. Da saß der graubärtige Chris
mit dem Cowboyhut an einem Tisch in der Ecke und amüsierte sich mit den beiden
finnischen Studentinnen. Trotz seines Alters war er eben ein richtiger
Charmeur. Mit seinem herzlichen Lachen und seiner gemütlichen Ausstrahlung
wirkte er wohl besonders anziehend auf Frauen. Es gab ein freundliches Hallo,
als ich mich dazusetzte und kurz darauf auch noch Annemarie aus Kiel eintraf.
Nun hatten wir uns also alle aus der Herberge von Rabanal wieder hier
getroffen, obwohl wir uns heute auf dem Weg nicht einmal begegnet waren! Schon
komisch. So lief eben jeder seinen eigenen Weg auf der gleichen Strecke! Und
nacheinander verließen wir nach einer kleinen Stärkung auch wieder die dunkle,
im bayrischen Stil errichtete Bar, da es draußen ja viel schöner war.
Die
„Pseudopilger“ standen oder saßen mit ihren kleinen Tagesrucksäckchen um den
Kleinbus herum, aßen ihre Lunchpakete und tranken gekühltes Wasser. Ich ging
die Straße hinunter bis zum Ortsausgang, wo auf der linken Seite ein
Fahrraddenkmal stand. Hier war aus dem verbeulten und nunmehr verrosteten
Fahrradrahmen eines zu Tode gestürzten deutschen Pilgers ein Denkmal errichtet
worden. Gute Idee, aber hätte man es nicht vielleicht lieber weiter oben als Warnung
aufstellen sollen?
El Acebo war schon nicht mehr so
verfallen und hatte einen freundlichen Eindruck bei mir hinterlassen. Gleich
hinter dem Dorf begann eine andere Vegetation mit großen Bäumen, sprudelnden
Bächen und grünen Wiesen, die Viehhaltung ermöglichte. So fiel es den
Dorfbewohnern vielleicht leichter, hier zu überleben, als beispielsweise in
Manjarín. Es ging aber immer noch steil bergab, wenn auch nicht mehr ganz so
steinig. Dabei spürte ich nun verstärkt meine Beine und Knie, die mir bisher noch
keine Probleme bereitet hatten. Der Abstieg erschien mir fast anstrengender als
der Aufstieg...
Überrascht
war ich vom nächsten Dorf mit dem Namen Riego de Ambrós. Überall wurde nur El Acebo als schönes Bergdorf erwähnt, aber Riego de Ambrós
gefiel mir fast noch besser. Auch hier klebten die mit viel Holz verkleideten
Häuser am Berghang und eine steile Straße führte durch den Ort. Aber mitten
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